ANALYSE. Für die Vertretung von Machtinteressen im ORF ist auch beim Publikumsrat vorgesorgt: Nicht so sehr Hörer:innen und Seher:innern sind dort vertreten, sondern Parteiakademien und parteinahe Vereine.
Vom ORF-Stiftungsrat ist viel, vom Publikumsrat vergleichsweise wenig zu lesen. Er hat weniger zu sagen, ist aber nicht bedeutungslos: Er darf nicht nur Empfehlungen im Sinne der einstigen „Hörer und Sehervertretung“ abgeben, die er vor gut 20 Jahren abgelöst hat, er muss auch Gebührenerhöhungen zustimmen und sechs Mitglieder des Stiftungsrates bestellen; damit hat er maßgeblichen Einfluss.
Umso problematischer ist, dass es mit der einst verkündeten „Entparteipolitisierung“ nicht weit her ist. In Bezug auf den Stiftungsrat ist diesbezüglich schon viel geschrieben worden. Jetzt hat die Universitätenkonferenz dankenswerterweise das Licht auch auf den Publikumsrat gelenkt. Anlass: Als Stimme für den Hochschulbereich hat Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) auf Vorschlag der oberösterreichischen „Academia Superior – Gesellschaft für Zukunftsforschung“ den Genetiker Markus Hengstschläger zum Publikumsratsmitglied ernannt. Hengstschläger ist wissenschaftlicher Leiter von „Academia Superior“.
Die Universitätenkonferenz („uniko“) hat Beschwerde dagegen bei der Medienbehörde KommAustria eingelegt. Sie stößt sich daran, dass dieser Organisation das Vorschlagsrecht eingeräumt wurde. Sie sei durch eine „deutliche parteipolitische Nähe zum bestellenden Bundesorgan gekennzeichnet“. Tatsächlich gilt sie in Oberösterreich als „ÖVP-Think Tank“, ist ÖVP-Landeshaupt- und Parteiobmann Thomas Stelzer Kuratoriumsvorsitzender sowie die stellvertretende Landeshauptfrau, ÖAAB-Chefin Christine Haberlander Obfrau. „uniko“ kritisiert, dass diese Organisation auf Oberösterreich beschränkt ist, und auch von daher nicht repräsentativ ist für den gesamten Hochschulbereich. „uniko“ hätte eigenen Angaben zufolge einen gesetzeskonformen Dreiervorschlag gemacht, konnte sich aber mit keinem durchsetzen.
So geht Parteipolitik 2022: Es werden zwar keine führenden Parteifunktionäre mehr in Gremien von Einrichtungen wie dem ORF entsendet, die allen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet sind, es wird jedoch über die Bande gewerkt. Vorsitzender des Publikumsrates ist Walter Marschitz. Er vertritt den Bereich „Eltern bzw. Familie“ und ist Geschäftsführer des Verbandes österreichischer Sozial- und Gesundheitsunternehmen. In den 1990er Jahren arbeitete er in der ÖVP-Zentrale, später für die parteinahe Julius Raab-Stiftung und das Hilfswerk. Stellvertretende Vorsitzende des Publikumsrates ist wiederum die ehemalige Grünen-Pressesprecherin Andrea Dannmayr.
Der Publikumsrat hat 30 Mitglieder. Ein Teil soll Bereiche, wie eben Hochschulen oder Familien, vertreten, ein Teil ausgewählte Organisationen. Hier wird es meist parteipolitisch. Indirekt, weil die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer genauso dazu gehört wie etwa der SPÖ-dominierte Gewerkschaftsbund. Und direkt, weil auch sämtliche Partei-Akademien dazu zählen; für die grüne gehört Dannmayr dem Stiftungsrat an.
17 bzw. die Mehrheit der Mitglieder werden vom Bundeskanzler entsendet. Wer immer das ist, es ist gesetzlich so festgelegt. Für den, der es ist, schafft es eine Möglichkeit, parteiisch zu agieren. Für „ältere Menschen“ beispielsweise ist Maria Neisser im Publikumsrat. Sie wird vom ÖVP-Seniorenbund korrekt als „unsere Vertreterin“ ebendort bezeichnet, ist sie doch nicht nur Mitglied des Wiener Seniorenbundes, sondern auch Chefredakteurin die Vereinszeitschrift „ab5zig“.
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