Schweden gehört studiert

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ANALYSE. Wenn die Weltgesundheitsorganisation bereit ist, vom Modell zu lernen, sollte das auch Österreich zumutbar sein. Für ein Ländermatch-Niveau ist kein Platz in der Pandemie.

Wie sich Wahrnehmungen unterscheiden: Am 2. Mai, gegen 17 Uhr, verbreitet Gerald Fleischmann, der wichtigste Kommunikationsberater von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), auf Twitter einen Bericht, wonach die Intensivstationen in Schweden „trotz harter Triage“ immer voller werden würden. Das ruft fürchterliche Assoziationen hervor. Ungefähr zeitgleich wird jedoch bekannt, dass die Reproduktionszahl im skandinavischen Land seit mehreren Tagen kleiner sei als eins. Das bedeute, dass die Pandemie allmählich abebben werde. Das erweckt einen ganz anderen Eindruck von den Verhältnissen in Schweden. Ein Schelm, der politische Absicht vermutet.

dieSubstanz.at hatte auf Basis der Daten, die die schwedische Gesundheitsbehörde veröffentlicht, schon vergangene Woche errechnet, dass die gemittelte Zuwachsrate bestätigter Infektionen auch in Schweden in den niedrigen, einstelligen Prozentbereich abgesunken ist. Sie erinnern sich: Das war das „Oster-Ziel“ von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Seine Erreichung vor gut einem Monat ließ die österreichische Regierung zu ersten Lockerungen schreiten.

Auch andere Werte deuten auf eine Entspannung im hohen Norden hin: Die Zahl wöchentlicher Todesfälle erreichte von 6. bis 12. April ihren Spitzenwert (663). In der Woche darauf waren es etwas weniger (650) und in der Woche von 20. bis 26. April deutlich weniger (485). Für die laufende Woche (bis 3. Mai) werden vorläufig 179 ausgewiesen (Stand Sonntagmittag).

Bemerkenswert: Die Zahl der Todesfälle ist in Schweden deutlich größer als die der Aufnahme von Intensivpatienten. Ihr Spitzenwert belief sich Anfang April auf 289. Summa summarum ist damit nur ein Teil der schwerkranken Patienten intensivmedizinisch behandelt worden. Seit Mitte April gibt es auch weniger Aufnahmen.

Doch zurück zu den unterschiedlichen Wahrnehmungen am 2. Mai: Neben dem Bericht über die sinkende Reproduktionszahl meldete Focus Online, dass sich die schwedische Regierung wachsender Zustimmung erfreue – und dass sich jetzt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO für ihre Methode der COVID-19-Bekämpfung interessiere: „Wir können möglicherweise von unseren Kollegen in Schweden lernen.“ Nämlich, „wie man zu einer Gesellschaft ohne Lockdown zurückkehrt“, wird Direktor Mike Ryan zitiert.

In Österreich sieht man das ganz offensichtlich gar nicht gerne: Hier hat man – gemessen an den Entwicklungen in Tirol – spät, aber umso entschlossener und wirkungsvoller auf die Ausbreitung des Coronavirus reagiert. Es gibt – bisher – über 2000 Todesfälle weniger als in Schweden, aber eben auch einen unvergleichlichen Kraftakt in Form eines De-facto-Lockdowns mit massiven wirtschaftlichen, sozialen und budgetären Schäden. Sprich: Zu sehen, dass bei den Schweden zumindest diese Schäden weniger dramatisch ausfallen könnten, wäre bitter. Einerseits. Andererseits: Zumal eine Gesamtwertung ohnehin erst am Ende aller Krisen möglich ist und eine zweite oder gar dritte Infektionswelle nicht ausgeschlossen werden können, wäre es naheliegend, hier kein Ländermatch-Niveau aufkommen zu lassen, sondern das schwedische Modell ganz nüchtern zu studieren.

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