ANALYSE. Wirkungsvoller als eine Impfpflicht-Debatte zu führen wäre es, Bürgerinnen und Bürger ausnahmsweise einmal wie Wesen zu behandeln, denen Wahrheiten zumutbar sind.
„Die EU steht vor der Zulassung der ersten Impfstoffe gegen SARS-CoV-2“, berichtet ORF.AT, um drei Sätze weiter unten festzuhalten: „Skepsis ist laut Fachleuten aber nicht angebracht, auch wenn die Impfstoffe – wie alle anderen – Nebenwirkungen haben können.“ Die Formulierung ist bezeichnend für das, was in Österreich läuft und was kein ernstzunehmender Diskurs ist, sondern eher „Message Control“ entspricht: Es gibt einen Absender mit einer Botschaft, die gerne auch als alternativlos dargestellt wird; und viele Empfänger, die daher nicht denken, geschweige denn mitreden, sondern einfach nur folgen sollen.
„Skepsis ist nicht angebracht“ ist nicht nur eine unnötige Formulierung, sondern zudem eine schädliche: Sie mutet den Leserinnen und Lesern die Wahrheit nicht zu, dass es immer einen Grund gibt, vorsichtig oder kritisch zu sein, das aber noch lange nicht bedeutet, dass man sich ganz und gar verweigert.
So gesehen ist dieses „Skepsis ist nicht angebracht“ respektlos-despektierlich und kann genau dazu führen, was die Uni Wien auf ihrem Corona-Blog schon vor einigen Wochen festgestellt hat; zu einem wachsenden Anteil der Bürgerinnen und Bürger nämlich, die sich gegen eine Impfung stellen – aus Protest, Trotz oder Prinzip, wie man hinzufügen möchte.
Das ist katastrophal und nicht nur das Ergebnis von solchen Medienberichten, sondern vor allem auch eines politischen Stils: Auch nach einem Dreivierteljahr werden Bürgerinnen und Bürger wie Wesen behandelt, die nicht zu Meinungsbildung und Vernunft in der Lage sind. Beispiele:
- Die Qualität der Informationen (Daten) über die Entwicklung der Pandemie ist noch immer erbärmlich. Sie entspricht einer Mischung aus Obrigkeitsstaat und Amtsgeheimnis. Die Öffentlichkeit muss demnach gar nichts erfahren; wenn, dann handelt es sich um einen Gnadenakt.
- Auch in diesem Sinne werden Maßnahmen (bzw. rechtsverbindliche Texte dazu) meist im letzten Moment vorgelegt. Von daher können Bürgerinnen und Bürger sogar nur mehr schlecht als recht gehorchen.
- Die Wissenschaft, die durchaus widersprüchliche, aber halt auch evidenzbasierte Beiträge zur Krisenbewältigung liefern könnte, erhält von der Politik nicht den nötigen Platz auf der allgemein wahrnehmbaren Bühne, den nur sie bieten kann. Damit entsteht mehr Wirkungsraum für das virologische Regierungsquartett, aber halt auch für Verschwörungstheoretiker und dergleichen.
- Mit der Corona-Ampel gab es vorübergehend den Versuch, nötige Maßnahmen berechenbar zu machen. Sie ist jedoch von der Politik selbst (de facto) wieder abgedreht worden.
- Bei den Massentests gipfelte all das: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte sie an, ohne sich weiter mit Gesundheitsmister Rudolf Anschober (Grüne) abgesprochen, einen Plan, geschweige denn eine Gesamtstrategie zu haben. Dass er davon ausging, dass sich die Massen selbstverständlich trotzdem testen lassen würden, unterstreicht, welches Bild er von den Bürgerinnen und Bürger hat.
Bei der Impfung würde so etwas zum Verhängnis werden. Was heißt würde? Die verhängnisvolle Entwicklung ist bereits im Gange: In Österreich diskutiert man über eine Verpflichtung, Belohnungen oder Sanktionen. Was aber kaum bis gar nicht läuft, ist eine ernsthafte Vorbereitung, die wohl eher zum Ziel führen würde: Wo sind die Impfzentren? Wie ist der Fahrplan (soweit er bereits vorliegen kann)? Wo ist die breite Aufklärung über Risiken einer Impfung und Risiken einer Nicht-Impfung. Natürlich, wenn sich viele nicht impfen lassen, drohen weitere Überlastungen der Intensivmedizin und auch unzählige Todesfälle, unermessliche Kollateralschäden etc. Genau das aber sind so schwerwiegende Argumente, dass sie durch eine offene Auflistung selbstverständlich wohl vorhandener Risiken (Nebenwirkungen) nicht verlieren, sondern eher sogar an Kraft und Glaubwürdigkeit gewinnen würden.
PS: Absurd ist, dass der Staat eine Impfpflicht wohl nicht einmal sicherstellen könnte oder wollte: Laut Sebastian Kurz dauert es noch Monate, bis genügend Dosen da sind. Das ist jedoch das kleinere Problem. Das größere ist die kritische Masse: Wenn sich fünf Prozent verweigern, sind das 450.000 Personen. Außerdem: Laut Uni-Wien-Untersuchung ist die Gegnerschaft weniger im linksliberalen Lager zu Hause als rechts davon, im blau-türkisen. Schwer vorstellbar, dass die ÖVP da im Falle des Falles hart bleiben würde. Vor allem aber: Wie will man das bei so vielen Menschen durchsetzen?
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