ORF unter Druck

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ANALYSE. Warum die Abwicklung der Impflotterie letztlich auch als Beeinträchtigung journalistischer Unabhängigkeit gesehen werden sollte. Beziehungsweise das Ansinnen der Politik geradezu frivol ist.

Marc Walder, Chef von Ringier, einem der größten Medienkonzerne der Schweiz, zu dem unter anderem die Boulevardzeitung „Blick“ gehört, hat vor einigen Wochen für Aufsehen gesorgt; und zwar durch Aussagen, die er zu Beginn der Pandemie getätigt hat, die aber erst jetzt einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Zitat: „Wir hatten in allen Ländern, wo wir tätig sind – und da wäre ich froh, wenn das in diesem Kreis bleibt – auf meine Initiative hin gesagt, wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, damit wir alle gut durch die Krise kommen.“

Rückblickend betont Walder, sich missverständlich geäußert zu haben, der Schaden ist jedoch angerichtet: Redakteurinnen und Redakteure aus der Gruppe sahen sich gezwungen, zu betonen, dass sie allein journalistischen Kriterien verpflichtet seien. Auch in der Pandemie.

In Wirklichkeit ist das nicht ganz so einfach: Zunächst ist noch viel Schlimmeres befürchtet worden als dann eingetreten ist. Und im Lichte einer Katastrophe, mit der gerechnet wird, stellt sich journalistische Verantwortung anders dar als man es gewohnt ist. Das kann auf eine Gratwanderung hinauslaufen. Eine Feststellung im Österreich-Newsletter der „Süddeutschen Zeitung“ von Anfang Mai 2020 veranschaulichte dies: „Die „Zeit im Bild 1“, die wichtigste Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen ORF, zum Beispiel ist zur Mutmacher-Sendung mutiert. Das war in den ersten Wochen (der Pandemie; Anm.) notwendig, das spendete Trost, nahm die Angst. Mittlerweile umweht die Durchhalteparolen und die oftmals unkommentierten Regierungsverkündungen aber ein Hauch von Propaganda.“

Heute zeigt sich, dass eine Aussage, die mit dem langjährigen „Tagesthemen“-Moderator Hanns Joachim Friedrichs in Verbindung gebracht wird, immer gelten sollte: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.“

Der ORF hat in den vergangenen Monaten vielfach bewiesen, dass er sich nicht gemein gemacht hat mit der Bundesregierung. Unter anderem in Interviews und Berichten mit und über (mittlerweile Ex-)Kanzler Sebastian Kurz. Jetzt aber ist der ORF unter Druck gesetzt worden, sich mit der Politik gemein zu machen. Und zwar per türkis-grün-roter Entschließung auf parlamentarischer Ebene, wonach er die staatliche Impflotterie abwickeln soll. (Formal ist die Regierung ersucht worden, Gespräche aufzunehmen, was laut ORF zur Kenntnis genommen wurde und diese Woche erfolgen soll.)

Der Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer spricht im „Standard“ von einem „gefährlichen Signal“ und dem möglichen Eindruck, der ORF wäre her ein „Hilfs- und Verlautbarungsorgan der Bundesregierung“. Es stelle sich die Frage, ob er einem solchen Ersuchen nachkommen müsste oder dürfte. Es wäre nicht durch die Pflichten gedeckt, die ihm gesetzlich auferlegt sind.

Gerade weil Medien in Zeiten wie diesen extrem gefordert sind, ihre Glaubwürdigkeit zu pflegen, Bürgerinnen und Bürgern zu liefern, was Sache ist und es sich bei der Impfung um eine sehr polarisierende Frage handelt, zeugt es zunächst einmal von mangelndem Problembewusstsein der Nationalratsabgeordneten, die dieser Entschließung zugestimmt haben. Die Regierung hätte es erst gar nicht so weit kommen zu lassen dürfen. Der ORF, der über den Stiftungsrat in entscheidenden, unternehmerischen Fragen von türkisen Leuten abhängig ist, kann sich dem Ansinnen de facto nicht entziehen.

Redaktionell kann der ORF durch die Abwicklung der Impflotterie beim besten Willen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr über jeden Verdacht erhaben sein: Er muss ja am Ziel mitwirken, dass es zu einer möglichst hohen Durchimpfungsrate kommt. Was harmlos klingen mag, weil es in den Augen vieler um etwas Gutes geht. Das Problem ist jedoch dies: Mit dem Impfen gehen Dinge einher, die schlecht sein können, die in Berichten und Reportagen thematisiert werden müssen. Gemeint sind hier etwa die Vordrängler zu Beginn bzw. vor einem Jahr; oder fehlenden Aufklärungskampagnen in den vergangenen Monaten, die in erster Linie ein politisches Versäumnis darstellen.

Man kann überhaupt so weit gehen, festzustellen, dass es dem ORF über die Impflotterie abgenötigt wird, die Impfpflicht zu bewerben. Frei nach dem Motto: „Spielen Sie mit, dann tut sie weniger weh.“ Die Impfpflicht ist zu respektieren, man darf sie mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen, muss sie jedoch kritisieren können dürfen. Allein schon diese Möglichkeit sollte gerade auch beim größten Medienunternehmen der Republik durch nichts in Zweifel gezogen werden.

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