ANALYSE. Der Start ist gefloppt. Die Gründe sind so schwerwiegend, dass wohl auch keine Anreize in Form von Gutscheinaktionen etwas gebracht hätten.
Die Bundesregierung habe die Verbindung zur Bevölkerung verloren, meinte der Kufsteiner Bürgermeister Martin Krumschnabel nach dem ernüchternden Zulauf zu den Corona-Massentests in Tirol gegenüber dem ORF-Radio. Gerade einmal 32 Prozent hatten teilgenommen. In Vorarlberg waren es mit 31 Prozent noch etwas weniger gewesen. In Wien laufen die Tests noch, in anderen Bundesländern folgen sie erst, die Wahrscheinlichkeit, dass das ohnehin schon bescheidene Ziel von einem Drittel erreicht wird, das Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt ausgegangen hat, ist jedoch begrenzt.
Das Problem ist umfassend. Daher soll diese Auflistung mit ein paar Punkten beginnen, die hier noch nie thematisiert worden sind. Sie führen zu einem ernüchternden Ergebnis: Trotz aller Umstände wäre es naiv, zu glauben, ein Appell an sogenannte Bürgerpflicht und Verantwortung fürs Gemeinwohl reiche aus, um eine deutliche Mehrheit zu motivieren, sich testen zu lassen. Zu viel steht im Weg.
Hypothese ein: Mit einem positiven Testergebnis geht eine gewisse Stigmatisierung einher. Man wird „abgesondert“, weil man eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellt. Genauso wenig wie die Erkrankung selbst will man das über sich ergehen lassen.
Hypothese zwei: Der Mensch neigt dazu, Nachrichten, die schlecht sein könnten, zu verdrängen. Also lässt sich der eine oder andere nicht testen, um fix nicht zu erfahren, dass er infiziert sein könnte (zumindest, wenn er (oder sie) ohnehin nichts merkt).
Hypothese drei: Verstärkt wird das durch den Umstand, dass alle Menschen jetzt schon recht lange Entbehrungen hinnehmen müssen. Soziale Kontakte sind nur eingeschränkt möglich. Es fällt zunehmend schwer, das zu ertragen. Noch länger will das niemand haben.
Vierte und wichtigste Hypothese: Man weiß schon von (vergleichsweise) harmlosen Krisenzeiten, dass die Krankenstände dann zurückgehen. Sehr wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass dann, wenn Jobs unsicher sind, eher alles vermieden wird, was auch nur im Entferntesten zu einem Verlust von Arbeit und Erwerbseinkommen führen könnte. Das gilt nun mehr denn je: Wir erleben die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Hunderttausende arbeiten selbstständig, „prekär“ oder schwarz – unabhängig von der gesundheitlichen Dimension ist da eine längere, verpflichtende Auszeit, eine existenzielle Katastrophe oder könnte zu seiner solchen werden.
Das sind Umstände, die wohl jeder Regierung zu schaffen machen würden. Bei der bestehenden kommt jedoch eigenes Versagen hinzu: Verhängnisvoll ist, dass man in ihrem Fall kein gemeinsames Bemühen um die Bekämpfung der Pandemie mehr erkennt: Das entzieht zu vielen Maßnahmen die Vertrauensbasis, die nötig wäre, damit sie von möglichst allen mitgetragen werden.
Zu oft gab und gibt es regierungsgemachte Störaktionen: Die Bevorzugung türkiser gegenüber roter Bundesländer bei wesentlichen Informationen etwa, die alle Österreicherinnen und Österreicher tangiert hätten. Die Strategielosigkeit, die sich jüngst beispielsweise in Widersprüchlichkeiten zum Wintertourismus gezeigt hat: Nachdem bisher immer „Gesundheit um jeden Preis“ im Vordergrund gestanden war, galt hier plötzlich, dass auch die Wirtschaft beachtet werden müsse (was ja nicht unvernünftig wäre, wenn es nicht auf diese eine Branche beschränkt wäre).
Geradezu misstrauenserweckend ist jedoch, dass es einen launenhaften Weg von Kurz zur Kontrolle des Infektionsgeschehens gibt und einen anderen von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne): Kurz präferierte eine Zeit lang die „Stopp Corona App“ und war irgendwann nicht mehr daran interessiert; zuletzt wurde sie von Anschober beworben. Kurz wiederum hat nie viel von der Ampel gehalten, die Anschober „erfunden“ hat. Folge: Selbst Tiefrotschaltungen blieben ohne Konsequenzen. Also mussten Bürgerinnen und Bürger den Eindruck gewinnen, dass eh alles halb so schlimm ist. Oder: Kurz sagt immer wieder offen, dass er schon früher stärkere Beschränkungen vorgenommen hätte. Damit distanziert er sich von seiner eigenen Regierung.
Und jetzt eben die Massentests: Kurz hat sie zur Überraschung von Anschober (Gesundheitsminister!) in einer ORF-Pressestunde angekündigt. Das war kontraproduktiv. Die Tests mussten zudem schnell vor Weihnachten sein (einige Länder wollten noch schneller sein und scherten mit eigenen Terminen aus). Eine längerfristige Strategie blieb offen. Eine solche aber wäre entscheidend: So lange nicht fix ist, dass es jetzt z.B. monatlich einen Test für alle gibt, bleibt auch für die, die bereit dazu sind, nur eine Momentaufnahme, die das Infektionsgeschehen im besten Fall, aber halt lediglich einmalig und ein kleinwenig eindämmt.
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