Impfpflicht kommt zur Unzeit

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ANALYSE. Gerade jetzt glaubt man auch in Österreich, halbwegs normal mit Corona leben zu können. Unter diesen Umständen wäre eine besonders anspruchsvolle Kampagne nötig, schon gar keine Lotterie.

Die Impfpflicht passiert gerade den Bundesrat. Damit fehlt nicht mehr viel, dass sie in Kraft treten kann (unter anderem muss das entsprechende Gesetz nun vom Bundespräsidenten beurkundet werden). Daneben tut sich Bemerkenswertes. Oder auch nicht: Hunderttausende sind noch ungeimpft, zurzeit lassen sich österreichweit aber nur 2000 bis 3000 pro Tag (erstmals) impfen. Ausgerechnet jetzt hat der Fortschritt damit das niedrigste Niveau seit dem Bestehen flächendeckender Angebote erreicht (siehe Grafik). Würde es dabei bleiben, bräuchte es 33 Tage, damit der Anteil der Erstgeimpften auch nur um einen Prozentpunkt steigt.

Zu den möglichen Gründen sei hier einmal ein anderer angeführt: Schaut man sich die Entwicklung des Fortschritts seit dem vergangenen Sommer an, fällt auf, dass es im Herbst zu einer starken Beschleunigung kam. Zumal sie parallel zur Entwicklung des Infektionsgeschehens verlief, könnte es diese Erklärung dafür geben: Mit wachsendem Risiko, sich zu infizieren und zu erkranken, stieg – gewissermaßen automatisch – die Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Das lief ohne Lotterie, geschweige denn Pflicht. Und wo eine Lotterie durchgeführt wurde, im Burgenland nämlich, hatte sie keinen sichtbaren Effekt.

Das leitet über zu dem, was jetzt zu erwarten ist: Es gibt zwar viele Infektionen, es ist aber kein Lockdown erforderlich, weil es relativ wenige schwere Erkrankungen und damit – zumindest von daher – auch keine Überlastung des Gesundheitssystems gibt. Politik beginnt also zu lockern.

Das sind keine Voraussetzungen dafür, dass die Impfbereitschaft wächst. Im Gegenteil. Die Pflicht, die in absehbarer Zeit ohnehin kaum durchgesetzt bzw. vom Staat nicht wirklich ernst genommen wird, wird daran nichts ändern. Auch keine Lotterie, wie sie über den ORF ausgespielt werden soll.

Das mit den Lockerungen ist überhaupt so eine Sache. Die Schweiz beabsichtigt, mit 17. Februar sämtliche Corona-Beschränkungen in einer oder in zwei Etappen zu beseitigen. Das kann man begrüßen oder als Verrücktzeit bezeichnen, man sollte jedoch davon ausgehen, dass auch Österreich nicht zuletzt auf Druck einiger Landeshauptleute dazu schreiten wird in weiterer Folge. Damit wird das Signal einhergehen, dass die Pandemie vorbei ist.

Was passiert dann mit der Impfpflicht? Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) hat im Ö1-Morgenjournal gerade wieder die Hoffnung geäußert, dass nie wirklich ernst gemacht werden muss damit. Das Erfordernis soll von der Lage bzw. der Einschätzung von Experten abhängen. Problem: Sofern in den nächsten Wochen keine neue, gefährlichere Variante auftaucht, werden sie eher nur sagen können, dass eine Impfung im Hinblick auf den kommenden Winter erforderlich erscheint; weil man ja nie wissen kann, was dann passiert. Das kann vernünftig klingen, ist aber schwer bis unmöglich durchzusetzen.

Erstens: Verhaltensökonoem wie Florian Spitzer vom IHS weisen schon bisher darauf hin, dass es bei der Impfung eine Kosten-Nutzen-Schere gibt: Man muss (oder darf) sich heute schützen lassen, um in weiterer Folge allenfalls eher nur leicht zu erkranken. Das ist laut Spitze einer Hürde, die man nicht unterschätzen sollte. Mitten in einer Welle wie im vergangenen Herbst ist sie noch relativ klein. Aber bei einer noch nicht bestehenden Welle, die vielleicht in einigen Monaten aufzieht? Um die große Hürde hier überwinden zu können, bräuchte es verdammt gute Erklärungs(-methoden). Bisher existierten sie nicht einmal ansatzweise.

Zweitens: Die Impfpflicht selbst kann es nach einer Aussage von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) nur geben, wenn die Impfstoffe auch wirken. Bei Omikron tun sie das zwar weniger als bei Delta, aber noch immer gut. Es hat eine Zeit gebraucht, bis sich das auf Basis erfolgter Omikron-Infektionen feststellen ließ. Bei noch nicht existierenden Varianten bzw. solchen, die sich vielleicht erst entwickeln werden, ist ein solcher Nachweis unmöglich.

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