Führungskrise

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ANALYSE. Ein Schattenkanzler ohne Einfluss in der eigenen Partei, ein Gesundheitsminister, der kein Politiker ist – und Landeshauptleute, die die Pandemie verniedlichen wollen. Ausgerechnet jetzt wird das ganze Machtvakuum deutlich.

Sebastian Kurz befand sich gerade am (bisherigen) Höhepunkt seiner Macht, als im März des vergangenen Jahres die Pandemie ausbrach. Und trotzdem war es für ihn nicht einfach, notwendig Erscheinendes durchzusetzen. Nach Stilllegung des Skibetriebs und Ausrufung eines Lockdowns berichtete er jedenfalls, dass er „auf viel Widerstand bei Entscheidungsträgern gestoßen“ sei. Namen nannte er keine. Man kann raten, um wen es sich handelte: Zunächst betroffen war Tirol mit seinem Landeshauptmann Günther Platter, Multifunktionär Franz Hörl und Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser, allesamt Parteifreunde des damaligen Kanzlers, also ÖVP-Leute.

Walser ist im heurigen Frühjahr offensiv geworden. Besser gesagt konnte er offensiv gegen den seinerzeitigen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) werden, nachdem Kurz die Lust an entschlossenem Corona-Krisenmanagement verloren hatte. Der heute 35-Jährige Ex-Kanzler gab lieber den „Game Changer“ und Prophet, der eine Rückkehr zur Normalität im vergangenen Sommer versprach. Ergebnis bekannt.

Walser drohte Anschober jedenfalls offen mit Widerstand gegen neue Beschränkungen. „Die Menschen in Österreich haben es satt, täglich die gleichen Mantras serviert zu bekommen.“ Und der Infektologin Dorothee von Laer richtete er nebenbei aus, dass sie sich mit warnenden Wortmeldungen lieber zurückhalten bzw. sich besser nicht darin üben solle, „zu verunsichern und sich in den Vordergrund zu spielen“.

Als das muss hier wiederholt werden, weil es zur gegenwärtigen Führungskrise überleitet: Kurz ist als Kanzler zur Seite getreten. Jetzt ist ihm überhaupt alles egal. Laut Gratiszeitung „Österreich“ bereitet er sich ausgerechnet in der gegenwärtigen Infektionswelle, in der Mediziner vor einem Kollaps der Spitäler warnen, auf eine Comeback-Tour vor. Die eigene Sache geht wieder einmal vor.

Im Rahmen der Realverfassung konnte auch ein starker Sebastian Kurz nur ein bisschen Einfluss auf seine Landeshauptleute nehmen. Aber immerhin eben ein bisschen. Schattenkanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) hat gar keine Möglichkeit dazu, zumal er nicht Parteichef ist und auch nicht von den Landeshauptleuten, sondern von Kurz zu seinem Statthalter gemacht worden ist.

Von der Führung her kann sich ein Ausnahmezustand so nicht bewältigen lassen. Schallenberg schließt einen Lockdown für Geimpfte aus, der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP), der Virologen unterstellt, jeden Österreicher in einem Zimmer einsprerren zu wollen, mag keinen Lockdown für Ungeimpfte, weil ein solcher „schwierig bis gar nicht kontrollierbar“ sei. Das mag sein, ist aber bemerkenswert: ÖVP und Grüne hatten sich Ende Oktober auf einen solchen verständig, sobald es mehr als 600 Intensivpatienten gibt. Das ist jetzt offenbar von Haslauer gekippt worden – Schallenberg schweigt und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), der Arzt, aber kein Politiker ist und daher null Ahnung hat, wo ein Hebel sein könnte, steht alledem ohnmächtig gegenüber.

Das mit den Intensivpatienten ist offenbar wirklich keine Grenze mehr. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) überrascht mit der Aussage, dass man Gott sei Dank eh genug Betten habe. „Auch Personal?“, mag man einwenden, aber darum geht’s Stelzer nicht: Wie einst bei Tirol und Ischgl versuchen Vertreter aus den Ländern, eine Pandemie zu verniedlichen und entschlossenes Handeln zu verhindern. Diesmal haben sie Erfolg.*

* Keine 24 Stunden später sprach Stelzer von einer dramatischen Situation und kündigte einen Lockdown für Ungeimpfte an.

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