ANALYSE. Die Einführung der Impfpflicht ist das Resultat eines politischen Kuhhandels. Wie kommen jetzt Experten dazu, der Politik hier rauszuhelfen?
Mit der Impfpflicht wird nicht ernst gemacht. Das Ergebnis der Gemeinderatswahl von Waidhofen an der Ybbs in Niederösterreich, wo spätestens in einem Jahr eine Landtagswahl durchgeführt werden muss, hat große Teile der Politik zu sehr erschrocken. Die Liste MFG, die dagegen auftritt, erreichte 17,1 Prozent. In diesem Fall ging das vor allem auf Kosten der ÖVP, sie verlor 18,9 Prozentpunkte.
Bemerkenswert ist jedoch, dass es Expertinnen und Experten richten sollen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wollte ein Aussetzen der Impfpflicht zuletzt in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“ am vergangenen Wochenende nicht ausschließen, wenn sich Fachleute dafür aussprechen sollten. Das Ergebnis ist vorgezeichnet: Insbesondere die Landeshauptleute Peter Kaiser (SPÖ) und Wilfried Haslauer (ÖVP) hatten vergangene Woche angefangen, die Pflicht infrage zu stellen. Haslauer verwies darauf, dass eine Überlastung der Gesundheitsversorgung nicht absehbar sei.
Tatsächlich würde viel dafür sprechen, zumindest den Zeitplan zu überdenken. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) regt beispielsweise an, vom kommenden Herbst und Winter, wenn wieder größere Infektionswellen möglich sind, aus zu rechnen: Wann müssen größere Impfkampagnen durchgeführt werden, damit die Sache am besten wirkt? Die Antwort könnte lauten, dass das eher im Sommer als jetzt im Frühling der Fall sein sollte.
So etwas (oder auch etwas ganz anderes) könnten einige Expertinnen und Experten selbstverständlich begründen. Wie aber kommen sie dazu, der Politik aus der Patsche zu helfen? Der Punkt ist der: Der Beschluss, eine Impfpflicht einzuführen, ist das Resultat eines politischen „Kuhhandels“; er wurde auf einer Landeshauptleutekonferenz im Beisein von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und des damaligen Kanzlers Alexander Schallenberg (ÖVP) Mitte November am Tiroler Achensee getroffen. Fachleute taten da nichts zur Sache. Man machte einfach: Es ging darum, einen weiteren Lockdown gewissermaßen zu legitimieren. Die Tageszeitung „Der Standard“ zitierte die nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) mit den Worten: „Die Grundvoraussetzung, um einem Lockdown zuzustimmen, war für mich die Impfpflicht. Denn die Menschen wollen Normalität und sich nicht weiter von Lockdown zu Lockdown hanteln.“
Sprich: Mikl-Leitner und Co. würde es gut anstehen, sich allenfalls hinzustellen und zu erklären, dass sich ihr Kuhhandel erübrigt hat; oder zumindest, dass sie sich verschätzt haben. Allerdings würde das Fehler- und Verantwortungskultur voraussetzen. Daran hapert es.
Siehe auch Bundeskanzler Nehammer, der Kindesweglegung bei der gescheiterten Impflotterie betreibt: Mag sein, dass sie ursprünglich auf eine sozialdemokratische Idee zurückgegangen ist, Leute zu belohnen, die sich gratis impfen lassen. Die Sozialdemokratie allein war aber nicht zuständig dafür. Nehammer hat die Lotterie gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler (ÖVP) und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner präsentiert. Er hat sich damit zum Teil dieses eigentümlichen Glücksspiels gemacht.
Die nunmehrige Vorgangsweise lässt tief blicken: Wenn’s läuft, ist man gerne dabei. Wenn etwas schiefgeht, müssen Schuldige her – wobei entscheidend ist, dass es sich um andere handelt.
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