ANALYSE. Bundeskanzler Kurz und Gesundheitsminister Mückstein schaffen es auch, sich bei sehr günstigen Rahmbedingungen zu beschädigen.
„Was ist da los bei den Nachbarn?“, schreibt das eidgenössische SRF über die jüngsten Vorgänge in Österreich: Eine „Zankerei“ zwischen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe Montagabend zur „kuriosen Situation“ geführt, „dass beide unabhängig voneinander Lockerungen verkündeten“ – der eine halt mit 10. Juni und der andere mit 17. Juni.
Das nennt man „Super-GAU“: Wenn’s nicht mehr läuft, geht alles schief. Vor allem Kurz wird 2021 vom schon auch selbst provozierten Unglück verfolgt: Eine Ministerin muss nach Plagiatsvorwürfen gehen; der versprochene Impfturbo will lange nicht zünden; zwischendurch werden bezeichnenden Chat-Verläufe bekannt, nimmt eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen möglicher Falschaussagen vor dem Ibiza-U-Ausschuss auf.
Und nun gibt es eben auch dort Schwierigkeiten, wo es eigentlich möglich sein sollte, alles andere (beinahe) vergessen zu machen: bei der vorläufigen Überwindung der Pandemie. Hier kommt ein Sebastian Kurz sich selbst in die Quere, der wirkt, als würde er seine Aufgabe allein darin sehen, permanent in der Öffentlichkeit zu stehen und gute Nachrichten zu verbreiten. Erklärbar ist das allenfalls nur durch den erhöhten Druck, aus sinkenden, wieder steigende Umfragewerte zu machen.
Vergangenen Freitag trat Kurz wie der Bundeskanzler und Gesundheitsminister in einer Person auf und kündigte weitere Öffnungen für Juni an. Wolfgang Mückstein, dem eigentlichen Gesundheitsminister, gefiel das gar nicht. Also twitterte er drauflos, schrieb, dass ihn die Aussagen „knapp 48 Stunden nach den aktuellen Schritten“ vom 19. Mai sehr verwundern würden: „Dieses einseitige Abgehen vom gemeinsamen Prozess kann nicht in unserem Interesse sein.“ Und: „Meine Aufgabe als Gesundheitsminister ist es, für Klarheit und Orientierung auf Basis v. Fakten zu sorgen. Mit mir gibt es keine Luftschlösser!“
Die seit nicht mal 48 Stunden geltenden Öffnungen wurden in einem gemeinsamen Prozess der Bundesregierung mit Ländern & Sozialpartnern auf Basis von Zahlen, Fakten und Prognosen von vor 6 Wochen getroffen. Zum damaligen Zeitpunkt ambitioniert & von einigen auch kritisiert. (1/7)
— Wolfgang Mueckstein (@WolfgangMueckst) May 22, 2021
Das saß: Die ÖVP ließ Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, Klubobmann August Wöginger und die Landeshauptleute schäumen. „Einschnitte in Grund- und Freiheitsrechte dürfen nie zum Selbstzweck werden“, müssten also bei erster Gelegenheit wieder zurückgenommen werden, schob Köstinger einen Treppenwitz ein. Treppenwitz, weil es beim besten Willen schwer möglich ist, nachzuvollziehen, woran sich die Regierung orientiert. Eine Zeit lang waren es Inzidenzwerte, seit geraumer Zeit ist es eher nur eine allgemeine Stimmungslage. Grundsätzliche Festlegungen fehlen genauso wie zumindest wissenschaftliche Beiräte. Klar: Solche Dinge würden die Flexibilität beschränken, von der gerade populistische Politik abhängig ist; sie muss sich wie eine Fahne im Wind drehen können.
„Mit mir gibt es keine Luftschlösser!“ sagte Mückstein. Kurz selbst antwortete, er wolle nicht antworten, sondern seinem Stil treu blieben und kein schlechtes Wort über einen Regierungskollegen verlieren. Das war eine unmissverständliche Antwort: Kurz hat im Grunde genommen gesagt, dass er die schlechten Worte für sich behalten möchte. (Im Übrigen haben ohnehin Köstinger und Co. im Sinne eines neuen Stils direkt gesagt, was zu sagen ein soll.)
In der ORF-ZIB 2 am Montagabend überraschte Mückstein jedoch: Dort trat er mit der Botschaft auf, dass es ihm nicht um den Inhalt, sondern um den Stil gegangen sein will; dass er sich nur daran gestoßen haben möchte, dass Kurz allein mit weiteren Öffnungsschritten aufhorchen ließ. Mückstein selbst würde sie nicht erst am 17. Juni, sondern schon am 10. Juni setzen. Diese Darstellung des Konflikts ist wenig glaubwürdig: Anzunehmen ist, dass Mückstein am vergangenen Freitag fuchsteufelswild war, als er erfuhr, dass Kurz nicht auf eine gemeinsame Pressekonferenz warten konnte, sondern den vermeintlichen Punkt bei der Bevölkerung nur für sich gewinnen wollte. Begriffe wie „Luftschlösser“ weisen wiederum darauf hin, dass es ihm dabei sehr wohl auch um den Inhalt ging, dass er weitere Öffnungspläne kritisch sah.
Wie auch immer: Den Schaden hat die Regierung, den Schaden haben beide. Übrig bleibt ein chaotisches Krisenmanagement. Wobei Mückstein gleich einmal Hinweise darauf erhält, dass ihm eine üble Presse zuteil werden dürfte: Die Boulevardzeitung „Österreich“ berichtet von „Wirbel um PCR-Abzocke in Mücksteins Gruppenpraxis“. Tests hätten dort, wo Mückstein vor seiner Ministerzeit tätig war, „ganze 120 Euro“ gekostet. Das erinnert stark an einen der letzten Berichte ebendort über Rudolf Anschober, wonach dieser (schon als Minister a.D.) ohne Maske am Donaukanal gesichtet worden sein soll. Das war auch so eine Geschichte, bei der es eher nicht um einen Nachrichtenwert, sondern mehr um eine Sympathiebekundung ging.
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