Anschobers Himmelfahrtskommando

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ANALYSE. Der Gesundheitsminister soll die Pandemie gegen die Länder und zunehmend auch den Koalitionspartner bewältigen. Das ist aussichtslos.

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes hat die geplanten Änderungen an Epidemie- und COVID-19-Maßnahmengesestz auseinandergenommen, wie ein penibler Lehrer die Arbeit eines hoffnungslosen Schülers. Von A bis Z ist quasi nichts korrekt bzw. alles rot markiert. Im vorliegenden Fall ist das grundsätzlich nicht schlecht, sondern sehr gut: Hier geht es um sehr sensible Grundrechtsfragen. Auch NGOs lassen mit kritischen Stellungnahmen beispielsweise den Verdacht aufgekommen, dass im Fall des Falles nach Vorbild des berüchtigten Oster- eine Art Weihnachtserlass möglich werden könnte, in dem steht, wie viele Leute an den Festtagen privat (!) zusammenkommen dürfen.

Das Bemerkenswerte an der vernichtenden Stellungnahme des Verfassungsdienstes ist dies: Das ist Türkis vs. Grün. Ein koalitionsinternes Zerwürfnis also. Und das wiederum lässt für das weitere Krisenmanagement Schlimmes befürchten. Für Österreich im Allgemeinen und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im Besonderen.

Die Sprecherin des Gesundheitsministers twitterte umgehend, der Verfassungsdienst sei in die Erstellung des Begutachtungsentwurfes eingebunden gewesen. Wenn dem so war, sind seine Anmerkungen nicht berücksichtigt worden oder er hat Anschobers Gesundheitsministerium nun gezielt blamiert. Anders kann man das nicht bezeichnen. Anschober und seine Beamtinnen und Beamten stehen da wie die dümmsten Schüler (im Sinne des Schulsystems), um bei dem eingangs erwähnten Vergleich zu bleiben. Die Nachred‘, dass sie unbrauchbare Arbeit leisten, bringen sie nicht mehr weg.

Darüber muss man sich wundern: Der Kanzler ortet ein Licht am Ende des Tunnels, lässt im Dunkeln aber solche Dinge zu. Ja, es hat nichts mit Verschwörungstheorie zu tun, zu behaupten, dass das mit seiner Duldung ablaufe: Der Verfassungsdienst ist in seinem Haus angesiedelt. Und mit Albert Posch hat er gerade einen Chef bekommen, der Jurist, aber halt auch ehemaliger Kabinettschef des Sebastian Kurz-Vertrauten Gernot Blümel ist. Da bestehen gewisse Vertrauensverhältnisse.

Vor allem aber wäre es in einer gut funktionierenden Koalition selbstverständlich, dass man einander vor derartigen Blamagen bewahrt; dass der Verfassungsdienst also informell das Gesundheitsministerium warnt, was er zu sagen hätte, falls aus dem unbrauchbaren Rohentwurf ein offizieller Begutachtungsentwurf werden würde. Schwer anzunehmen, dass Anschober darauf geantwortet hätte, dass ihm das egal sei.

Interessant ist nebenbei, dass der Gesundheitsminister bei alledem auch von Parteikolleginnen und -kollegen nach außen hin allein gelassen wird: Sehen sie nicht, was hier abgeht? Oder wissen sie nicht, was tun? Viel Schlimmeres zieht für Anschober jedenfalls schon auf.

Der Bundeskanzler hat sich in seiner Rede vergangene Woche nicht weiter mit der Pandemie beschäftigt. Er ist schon viel weiter: Bei Ankündigungen, die Wirtschaft anzukurbeln und bei der „sehr wahrscheinlichen“ Rückkehr zur Normalität im kommenden Sommer. Natürlich wies Kurz darauf hin, dass Herbst und Winter extrem schwer werden. Wie man diese Herausforderungen zu bewältigen gedenkt, blieb jedoch offen.

Weil das Anschobers Problem ist. Wobei er ohne unmissverständliche und öffentliche Unterstützung des Kanzlers und vor allem auch ÖVP-Chefs eigentlich nur scheitern kann. Siehe „Corona-Ampel“: Welcher Bezirk und welches Land will sich zum Risikogebiet erklären lassen? Landeck zum Beispiel vor oder in der Wintersaison? Sicher nicht. Die Landespolitik findet immer irgendwelche Beschwichtigungen. Nach ersten Infektionsfällen in Ischgl behauptete ein Landessanitätsdirektor Anfang März, dass eine Übertragung „wenig wahrscheinlich“ sei. Das Ergebnis ist bekannt. Tirol hat „alles richtig gemacht“ (Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg, ÖVP).

Die Stärke der Ampel ist zugleich auch ihre Schwäche: Sie soll nicht nur auf die Zahl der Neuinfektionen abstellen. Das ist klug. Sonst wäre ja zum Beispiel dumm, wer viel testet und damit eben auch positive Ergebnisse „riskiert“. Wenn viele Faktoren berücksichtigt werden, wächst aber halt auch der Spielraum der letztendlich über die jeweilige Ampelschaltung entscheidenden Politik. Soll heißen: Das wird ein Kampf. Anschober und seine Leute sagen, dass „rot“ angesagt sei? Landes- und Kommunalpolitiker werden dagegenhalten – im Wissen, dass Sebastian Kurz eh auch kein großer Freund und Förderer der Ampel, geschweige denn Anschobers ist.

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