Zu schwach für einen Lockdown

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ANALYSE. Österreich provoziert mit offenen Skigebieten und anderen Ausnahmen ein Schrecken ohne Ende bzw. eine Verlängerung sowohl gesundheitlicher als auch wirtschaftlicher und vieler weiterer Schäden.

Dafür, dass das Virus nicht und nicht verschwindet, sondern auch noch mutiert, kann die Regierung nichts; dafür, dass immer wieder Beschränkungen notwendig sind, kann sie auch nichts. Es ist nur so, dass sie es darauf anlegt, die Krise in die Länge zu ziehen. Damit drohen gesundheitliche, wirtschaftliche und viele weitere Schäden größer zu werden als sie ohnehin schon sind.

Im vergangenen Frühjahr gab es einen Lockdown, der einem richtigen Lockdown relativ nahe kam: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister (Grüne) vermittelten den Eindruck, dass man zu Hause bleiben muss. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) unterband sogar Spaziergänge in Bundesgärten. Wie auch immer: Die Masse blieb zu Hause, und das wiederum hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu beigetragen, dass die erste Welle gegen Sommer zu Ende ging.

„Zu spät“ ging es im Herbst in einen zweiten Lockdown, wie der damalige IHS-Chef Martin Kocher vor wenigen Wochen in der „Zeit“ bestätigte, nicht ohne einzugestehen, dass man hinterher immer klüger sei. Wie auch immer: Wieder hielten sich sehr viele Menschen an die Beschränkungen, spätabends herrschte beispielsweise auf sonst sehr belebten Wiener Straßen gespenstische Ruhe. Wieder sanken die Infektionszahlen.

Seit Dezember wirkt jedoch gar nichts mehr so, wie es wirken sollte: Seit bald drei Wochen gibt es einen „Lockdown“, doch die Inzidenz ist ebenso unverändert hoch geblieben wie es Hospitalisierungen (inkl. Intensivstationen) sind. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bereitet die Öffentlichkeit bereits auf eine Verlängerung des „Lockdowns“ vor. Zumal Mutationen, die dafür sorgen, dass das Virus noch ansteckender ist, die Infektionszahlen umgehend wieder steigen lassen könnten.

„Lockdown“ ist hier bewusst unter Anführungszeichen gesetzt: Österreich hat keinen Lockdown. Erstens, weil es sich aus einem gewissen Schlawinertum heraus keinen leisten möchte; und zweitens, weil es sich in zahlreichen Bereichen immer schwerer einen leisten kann.

Für das „Schlawinertum“ stehen die offenen Skigebiete. Sofern es irgendwann um politische Verantwortung geht, wird sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss vielleicht mit dieser Entscheidung, aber auch mit der offenen Werbung fürs Skifahren befassen, die Tourismusministerin Köstinger schon im Spätherbst betrieben hat: „Ich habe überhaupt keine Angst, dort infiziert zu werden“, ließ sie via „Spiegel“ wissen. Das war eine Ermunterung für Millionen. Und natürlich: Auf der Piste und am Lift wird die Infektionsgefahr gering sein. Beträchtlich ist sie aber in vollen Zügen, in denen schon einmal Gruppen anreisen. Und im Gedränge an der Talstation, wie es auf den Bildern vom Kreischberg zu sehen ist.

Solche Entwicklungen lassen sich durch den (Tages-)Tourismus, der hier zugelassen wird, nicht vermeiden. Das ist wie ein Spiel mit dem Feuer neben einem Benzinkanister. Ergebnis: Da und dort geht man weiter, ORF Tirol berichtet nach einem Test, dass es kein Problem ist, eine Unterkunft zu bekommen. Bei britischen Skilehrern, die nach Jochberg im Bezirk Kitzbühel gekommen sind, ist wiederum die Mutation festgestellt worden.

Versuchen wir, nachzuvollziehen, warum es Köstinger und Co. darauf anlegen. Mögliche Erklärung: Sie bringen nicht mehr die Kraft für ein Ende mit Schrecken auf, also einen echten Lockdown; sie lassen lieber ein Schrecken ohne Ende zu. Genau das ist es: Die Skigebiete laufen derzeit nicht gewinnbringend. Und nachdem sich die Corona-Lage nicht verbessert hat, werden sie das in dieser Wintersaison auch nicht mehr tun können. Möglicherweise wäre der Schaden für sie weniger groß, wenn sie gleich heute überhaupt zusperren würden.

Zu den Kollateralschäden, die einen Lockdown immer schwerer machen: Man muss nicht so weit gehen, zu sagen, unter diesen Umständen lassen wir dem Virus freien Lauf; im Gegenteil, man sollte sie einfach nur wahrnehmen, um – bei Bedarf – ein größeres Verständnis für harte, zeitlich aber eher überschaubare Maßnahmen sowie die Notwendigkeit einer Impfung zu bekommen.

In der Schweiz bzw. an der Uni Basel lief in den vergangenen Monaten eine Studie, bei der die Befindlichkeit von 11.612 Männern und Frauen untersucht wurde. Ergebnis: Vor der Pandemie wiesen drei Prozent schwere depressive Symptome auf. Im Frühjahr waren es neun Prozent. Aktuell sind es 18 Prozent. Das ist jeder Fünfte. Und wir reden hier von keinem Schnupfen, sondern von einer Beeinträchtigung, die in vielen Fällen nicht von heute auf morgen und auch nicht bis zum Sommer verschwinden wird.

Weiteres Beispiel: Schulschließungen sind laut ETH Zürich sehr wirksam zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens. Andererseits: Das Institut für Höhe Studien geht davon aus, dass sie bleibende Schäden verursachen. Zitat in einem „Policy Brief“ dazu: „Auf Basis von Schätzungen in der Literatur kommen wir auf einen durchschnittlichen jährlichen Erwerbseinkommensverlust aller betroffenen SchülerInnen von 100-200 EUR pro Monat eines Schul-Lockdowns. Je nach konkreten Annahmen ergibt sich daraus ein Verlust von über 2 Milliarden Euro (0,5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP)) oder mehr pro Schul-Lockdown-Monat.“

Wobei die Kosten laut IHS umfassend sind. Sie würden sich zeigen „im Zusammenhang mit den späteren Einkommenseinbußen der betroffenen Kinder und Jugendlichen im Zusammenhang mit geringerem Kompetenz- und Wissenserwerb; im Zusammenhang mit der größeren Wahrscheinlichkeit später arbeitslos zu sein, gerade bei Kindern aus benachteiligten Haushalten; und im Zusammenhang mit Produktivitätseinbußen bei den Eltern, die Betreuungs- und Unterstützungsleisten erbringen müssen und daher weniger produktiv bei ihren Erwerbsbeschäftigungen sein können.“

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