Wrabetz wird unterschätzt

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ANALYSE. Unter dem ORF-Generaldirektor findet auf einigen Sendern bemerkenswerte Vielfalt inklusive (Selbst-)Kritik statt. Das ist gut für Medien und Demokratie.

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz steht unter Verdacht: Er wolle es sich mit den jeweils Regierenden richten. Was wohl von daher kommt: De facto sind es in Österreich noch immer die Regierenden, die bestimmen, wer alle paar Jahre zum Chef des öffentlich-rechtlichen Senders gekürt wird. Würde Wrabetz also etwa bei Sebastian Kurz und ein bisschen auch Werner Kogler in Ungnade fallen, könnte er seine Sachen demnächst packen; 2021 findet die nächste „GD-Wahl“ statt.

Man sollte dem 60-Jährigen, der schon unter allen möglichen Koalitionen Generaldirektor geworden bzw. geblieben ist, aber nicht Unrecht tun. Natürlich: Gerade die Coronakrise ist eine unendliche Herausforderung für alle Medien und damit auch den ORF: Wie viel Information im Sinne des staatlichen Krisenmanagements muss einfach nur „1 zu 1“ transportiert werden, wie viel kritische Auseinandersetzung damit ist nötig etc.?

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat dazu in einem Newsletter im Mai sehr Treffendes geschrieben: „Die „Zeit im Bild 1“, die wichtigste Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen ORF, zum Beispiel ist zur Mutmacher-Sendung mutiert. Das war in den ersten Wochen (der Pandemie; Anm.) notwendig, das spendete Trost, nahm die Angst. Mittlerweile umweht die Durchhalteparolen und die oftmals unkommentierten Regierungsverkündungen aber ein Hauch von Propaganda.“

Zurecht steht hier „ein Hauch von Propaganda“: Im ORF findet unter Wrabetz auch sehr Kritisches statt: Die „ZiB2“ oder der „Report“ stehen nicht zuletzt mit immer wieder hochklassigen Interviews dafür; auch Regierungsmitglieder werden hier gefordert, wie es sich gehört. Oder die Sendung „Am Schauplatz“ vom Frühjahr etwa, die eine Ahnung davon vermittelt hat, wie Ischgl wirklich war und ist; so nämlich, wie es „Wir haben alles richtig gemacht“-Repräsentanten sicher nicht gerne gesehen haben.

Vergangenen Freitag wiederum lieferte das Ö1-Radio Momente eines herausragenden, offenen und selbstkritischen Journalismus: Zunächst war da nachmittags „Im Gespräch“ bzw. ein Interview mit dem Mikrobiologen Martin Haditsch. Man muss nicht teilen, was er sagt; in Zeiten, in denen andere Ansichten, die noch dazu halbwegs plausibel argumentiert sind, nicht nur gefördert, sondern auch eingefordert werden sollten, war es aber wichtig, ihn so ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Haditsch „durfte“ im ORF den ORF ganz brutal auseinandernehmen (quasi im Sinne des „Propaganda“-Vorwurfs).

Und er bekam auch den Platz, seine Zweifel am Krisenmanagement der Regierung sowie Forderungen dazu zu nennen. So gehört er zu denen, die verlangen, dass die Gründe für den Lock-Down im Frühjahr offengelegt werden. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber halt nicht ist. Ja, nicht einmal bei der nunmehrigen „Corona-Ampel“ lässt sich nachvollziehen, auf welche Daten genau sich die Einschätzungen der Expertenkommission beziehen, deren Mitglieder auf der Ampel-Website im Übrigen nicht angeführt sind.

Doch zurück zu Ö1: Ein paar Stunden nach „Im Gespräch“ lief die Mediensendung „Doublechek“ und lieferte eine erbarmungslose Auseinandersetzung mit Journalismus in Zeiten wie diesen im Allgemeinen und jenem der ORF-Sommergespräche im Besonderen. Titel: „Junge Stars, alte Formate„. So etwas Selbstkritisches zeugt von einer gewissen Größe. Auch wenn der erste Moderator dieser „alten“ Gespräche, Peter Rabl, schon eine Abrechnung getwittert hatte: „Mit Sommergespräch 2020 hat sich nach fast 40 Jahren das Format endgültig erschöpft. Jung, weiblich, attraktiv, sympathisch, ohne ausreichende Erfahrung in längeren Interviews. Schwindelerregende Kamerafahrten als Versuch eines Spannungselements. Ausgereizt.“ Ja, auch wenn der Medienexperte Peter Plaikner ziemlich Unbestreitbares bestätigt: Der Sommergespräch-Moderator des vergangenen Jahres, Tobias Pötzelsberger, und Simone Stribl, die das heuer gemacht hat, hätten laut Plaikner „eine behutsamere Aufbauarbeit verdient. Beide sind im Alter der Kinder des Sommergespräche-Publikums. Da ist es extrem schwierig, auf Augenhöhe zu kommen.“

Es ist überhaupt extrem schwierig, mit Profis wie Bundeskanzler Sebastian Kurz oder Vize Werner Kogler auf Augenhöhe zu kommen in einem Interview. Ganz, ganz wenige Journalistinnen und Journalisten schaffen das. Beim Sommergespräch heuer ist es nicht gelungen. Und das ist gerade im „Corona-Jahr“ schmerzlich gewesen. Andererseits findet im ORF aber eben zumindest auch eine Reflexion dazu statt.

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