Wien-Bashing 2

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ANALYSE. COVID-19: Bundesweite Verschärfungen wären absurd und vor allem auch standortfeindlich: In mehreren Ländern ist das Infektionsgeschehen außer Kontrolle. Nicht aber in der Metropole.

Gerade wenn man auf die kommunale Ebene runtergeht, sollte man vorsichtig sein, eine Verbindung zwischen dem Infektionsgeschehen und der Politik herzustellen; ihr Einfluss ist begrenzt. ÖVP und zum Teil auch Grüne laden durch ihr Verhalten im Wien-Wahlkampf jedoch ein dazu: Damals haben sie aufgrund höchster Zuwächse im Bundesländervergleich besonders Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) kritisiert für seinen „Coronakurs“. Also müssten sie ihn heute zum Superstar erklären (was sie natürlich nicht tun): Wien steht – mit Abstand – am wenigsten schlecht da.

Österreichweit ist die Zahl bestätigter Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche in einem Monat immer stärker gestiegen. Am Sonntag, den 11. Oktober, belief sich die Inzidenz auf 82, am 8. November handelte es sich um 461. Von der Tendenz her war es praktisch in allen Ländern so. Außer Kontrolle scheint das Geschehen jedoch in Vorarlberg (722), Oberösterreich (692), Tirol (613) und Salzburg (570) zu sein. Andere Länder könnten dabei sein, ihnen zu folgen.

Wien entwickelt sich außerordentlich: Obwohl es sich etwa geweigert hat, dem Appell von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vom September gerecht zu werden und die Sperrstunde in der Gastronomie auf 22 Uhr zu legen, sind die Zahlen hier ausgehend von einem extrem hohen Niveau nicht weiter explodiert. Über vier Wochen gerechnet hat sich die Inzidenz nicht einmal verdoppelt und ist in der vergangenen Woche sogar gesunken (auf 271).

Das muss man vorwegschicken. Denn Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat im Ö1-„Journal zu Gast“ gerade weitere Verschärfungen in Aussicht gestellt. Später hatte er auf Twitter nur für einen Moment differenziert und aus Oberösterreich berichtet, dass es dort vor dem Lockdown noch „viele Partys“ gegeben habe. Offenbar hat ihm das jedoch nicht gut bekommen in seiner Heimat. In weiterer Folge korrigierte er jedenfalls, dass er das aus einem Gutteil Österreichs gehört habe.

Wie auch immer: Politik, die nicht (mehr) die Kraft hat, nach Bundesländern zu differenzieren, droht Österreich massiven Schaden zuzuführen: Die Auslastung der Spitäler entwickelt sich zum Beispiel nicht überall gleich. dieSubstanz.at berichtete vorige Woche, dass in Vorarlberg ein Viertel der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten belegt sind, in Wien dagegen ein Achtel. In Oberösterreicher gibt es insgesamt gar schon mehr Spitalspatienten als in Wien. Sprich: Wenn man gerade auch die aktuelle Inzidenz als Hinweis dafür nimmt, womit in den nächsten Wochen zu rechnen ist, besteht in Vorarlberg und Oberösterreich ein ganz anderer Handlungsbedarf als in der Bundeshauptstadt. Wozu also dort den bestehenden Lockdown noch weiter verschärfen?

Der Einwurf, dass man alle gleich behandeln sollte, ist zu schwach. Auf Wien entfällt mehr als ein Viertel der österreichischen Wirtschaftsleistung: Hier nur der Fairness halber größere Katastrophen hinzunehmen, ist fragwürdig; zumal mittlerweile ja auch der Laie eine Ahnung davon hat, welche Kollateralschäden mit all den Beschränkungen einhergehen, von Arbeitslosigkeit über Armut bis hin zu Alkoholismus und Psyche.

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