Weniger Impfpflicht

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ANALYSE. Österreich könnte noch vor Februar sehr viel erreichen, wenn es sich nicht so sehr an radikalen Impfgegnern verbeißen würde.

„Infektionswelle trotz totaler Durchimpfung.“ Der Titel in der Tageszeitung „Die Presse“ klingt alarmierend. Es geht um das kleine Gibraltar, wo laut Bericht fast so viele Neuinfektionen gemessen an der Bevölkerung registriert werden wie in Österreich. Und das obwohl dort praktisch alle geimpft sind. Letzten Endes handelt es sich jedoch um eine Bestätigung dafür, dass eine Impfung nicht vor einer Ansteckung bewahrt, das Risiko eines ernsten Erkrankungsverlaufes jedoch reduziert: Von den 34.000 Bewohnern müssen drei wegen Corona stationär behandelt werden, davon keiner intensivmedizinisch. Selbst im Burgenland, das hierzulande bei weitem nicht am schlechtesten dasteht, handelt es sich in Relation zur Bevölkerung (knapp 300.000) um ein Vielfaches davon (102 Spitalspatienten, davon 14 intensiv).

Andererseits ist nicht nur der Anteil der Geimpften entscheidend dafür, wie ein Land gerade dasteht: In Österreich ist er im westeuropäischen Vergleich sehr niedrig. 70 Prozent sind laut „Our World in Data“ zumindest einmal geimpft. In Großbritannien sind es mit 75 überraschend wenig mehr, in Israel gar nur 68 Prozent. Mögliche Einflüsse auf die günstigeren Verhältnisse ebendort: In Großbritannien verfügen laut Statistikbehörde ONS extrem viele Menschen über Antikörper. Und in Israel wird seit Monaten eine „Impfung plus“-Strategie verfolgt: Trotz einer Inzidenz bestätigter Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche von derzeit kaum über 20 gilt dort eine Maskenpflicht in Innenräumen. In Österreich ist das erfahrungsgemäß eher undenkbar, mag Politik die Pandemie lieber immer wieder für beendet erklären und alle Beschränkungen aufheben.

Umso wichtiger ist hierzulande, dass die Durchimpfungsrate steigt. These: Gerade aber zur Bewältigung der kommenden Wintermonate wäre es vernünftig, sich weniger auf eine Impfpflicht mit möglichst hohen Strafen zu konzentrieren bzw. sich an radikalen Impfgegnern zu verbeißen, sondern mehr darauf zu konzentrieren, mit gelinderen Mitteln das herauszuholen, was möglich ist,

Es könnte sehr viel sein: Die Ankündigung einer Impfpflicht hat die Erstimpfbereitschaft zuletzt wie berichtet nicht erhöht, sondern reduziert. Das ist schlecht. Aber: Laut Gesundheitsministerium sind aktuell immerhin schon 70,8 Prozent aller Menschen zumindest einmal geimpft. Bei ihnen wird es relativ einfach sein, recht zügig alle für eine Zweit- und Drittimpfung zu gewinnen.

Im Anlaufen sind zudem Impfungen für Kinder und Jugendliche: Man kann davon ausgehen, dass geimpfte Eltern dazu neigen, ihren Nachwuchs impfen zu lassen. Wird bei Fünf- bis Elfjährigen eine Quote von 50 Prozent erreicht, steigt der Anteil aller zumindest erstgeimpften Menschen in Österreich auf 74 Prozent. Handelt es sich um zwei Drittel, werden es mehr als 75 Prozent.

Parallel dazu fangen Länder und Gemeinden erst an, Ungeimpfte direkt anzuschreiben und zu einer Impfung oder zumindest einem persönlichen Gespräch einzuladen. Das wird allemal mehr bringen als eine Impflotterie, wie sie im Burgenland im Herbst mit gefühlt riesigem, aber halt keinem messbaren Erfolg durchgeführt worden ist. Mehrere Prozentpunkte könnten sich jedenfalls mobilisieren lassen. Womit es alles in allem schon einmal Richtung 80 Prozent gehen könnte.

Eine bloße Impfpflicht ab 1. Februar, die noch dazu (wenn auch saftige) Strafen wie für Verkehrsdelikte vorsieht, muss die Bewältigung der Pandemie in absehbarer Zeit nicht einfacher machen. Zumal Leute, die nur durch sie zu gewinnen sind, erst im März oder April das entwickeln werden, was als voller Impfschutz bezeichnet wird. Dann ist die vierte Welle vorbei und möglicherweise auch schon eine fünfte durchs Land gezogen, ehe sich die Lage auf die wärmeren Jahreszeiten hin ohnehin entspannt.

Im Übrigen unterschlägt die Schlichtheit der Auseinandersetzung, wie unterschiedlich die Menschen ticken, sich bisher nicht impfen ließen und es vielleicht auch nie tun werden. Am Wochenende hat Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) in einem Interview einmal mehr Freiheitliche dafür verantwortlich gemacht, dass diese Leute so zahlreich sind. Der Beitrag von Herbert Kickl und Freunden ist beträchtlich. Aber: Zu denken geben könnte Schallenberg, dass zum Beispiel in Lienz (Osttirol), dem Bezirk mit der höchsten Inzidenz bestätigter Infektionen österreichweit (fast 2000), die Durchimpfungsrate außergewöhnlich niedrig ist (kaum über 60 Prozent) und der ÖVP-Anteil bei der letzten Nationalratswahl sehr hoch war (55 Prozent). Die Freiheitlichen kamen auf weniger als 15 Prozent.

Nicht, dass man der Volkspartei unterstellen kann, gegen die Impfung zu mobilisieren wie es Kickl tut; das wäre absurd und vollkommen daneben. Gerade auch in Teilen ihrer ländlichen Klientel scheint es aber ein Mobilisierungsproblem zu geben, das unterstreicht, wie vielschichtig die Sache mit der Impfbereitschaft ist.

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