ANALYSE. Während die Regierung so tut, als wäre die Coronakrise vorbei, steckt der Nachwuchs noch voll drinnen.
Man kann sagen, dass sich die Bedeutung bestätigter Infektionen bzw. die Entwicklung der sogenannten Inzidenz mehr und mehr relativiert. Besonders Ältere sind zu einem sehr hohen Teil geimpft. Das ist gut so: Im Vergleich zu bisherigen Wellen dürfte es schon allein von daher weniger schwere Erkrankungsverläufe und auch Todesfälle geben. Umgekehrt aber sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die Delta-Variante gerade diejenigen erwischt, die auch aufgrund der gängigen Impfstrategien zu einem sehr hohen Teil noch nicht geschützt sind: Junge. Siehe Großbritannien, wo sich das Infektionsgeschehen ganz offensichtlich auf Schüler und Studierende konzentriert.
In diesem Zusammenhang gibt es zwei Probleme: Zum einen besteht das Risiko, dass sie Angehörige anstecken – Geschwister, Eltern etc. Und zum anderen können auch Erkrankungsverläufe, die nicht in einem Spitalaufenthalt münden, Folgen haben. Laut einer Untersuchung des britischen Statistikamtes ONS macht „Long COVID“ ähnlich vielen 17- bis 24-Jährigen zu schaffen wie in der Gesamtbevölkerung. Im Frühling war ungefähr jeder Hundertste von Beeinträchtigungen betroffen, die sich über mindestens drei Monate erstreckten. Das ist nicht nichts, im Gegenteil. Es belastet Gesellschaft, Wirtschaft und Sozialsystem.
Man kann sich überhaupt wundern, wie egal die Jugend der Politik in dieser Krise ist: Zu Beginn hatte natürlich der gesundheitliche Schutz besonders gefährdeter Gruppen absoluten Vorrang. Schon nach dem Sommer aber kündigte der Kanzler nur eine Initiative gegen Alterseinsamkeit an. Über ein PR-Event ist das nicht hinausgegangen. Dabei weiß man längst, dass Junge, die eher Kontakte gewohnt sind, viel stärker darunter leiden, allein zu sein; sie sind dann eher einsam.
Bildung sei die Zukunft, heißt es in Sonntagsreden. Weltweit geriet dies ins Hintertreffen. In Österreich jedoch insofern besonders, als es hier laut OECD überdurchschnittlich viele bzw. lange andauernden Schulschließungen gab. In der Oberstufe sind im vergangenen Jahr rund 80 (Präsenz-)Schultage ausgefallen. In der Schweiz waren es rund 60, in Deutschland und Dänemark etwa 20. Das macht was. Laut einer McKinsey-Studie haben Schülerinnen und Schüler im Mittel zwei Monate verloren.
Nach wie vor am schlechtesten ist die Lage für Junge auf dem Arbeitsmarkt, wie AMS-Daten zeigen: Während es bei allen übrigen Altersgruppen im Mai schon wieder mehr unselbstständig Beschäftigte gab als vor der Krise (bzw. im Mai 2019), waren es bei unter-25-Jährigen noch immer deutlich weniger (siehe Grafik).
Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO hat schlüssige Erklärungen dafür: Zum einen seien Jüngere oftmals neben der Ausbildung in Branchen tätig, die zumindest vorübergehend still standen (z.B. Gastronomie). Zudem würden sie „angesichts ihrer vergleichsweise kurzen Betriebszugehörigkeit auch zu jenen Belegschaftsteilen (zählen), die im Krisenfall zuerst ihren Arbeitsplatz verlieren“. Außerdem habe die Unsicherheit in Betrieben „eine Zurückhaltung bei Neueinstellungen“ ausgelöst.
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