Rückschritt in der Klimapolitik

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ANALYSE. Unter Kurz ist die ÖVP schon weiter gewesen als jetzt unter Nehammer. Die Veränderung ist das Ergebnis populistischer Zugänge zu wachsenden Herausforderungen.

Vorlage für die „Rede zur Zukunft der Nation“, die Bundeskanzler Karl Nehammer am 10. März als ÖVP-Obmann gehalten hat, könnte bis auf einen Punkt das Programm sein, mit dem die Partei unter seinem Vorgänger Sebastian Kurz in die Nationalratswahl 2019 gezogen ist: Der Bogen spannt sich von der Bekämpfung illegaler Migration und einem „Stopp der Zuwanderung ins Sozialsystem“ über ein Bekenntnis zur Neutralität und zu Eigentum („Außerdem soll verstärkt die Möglichkeit des Mietkaufs angeboten werden“) bis hin zum Ausbau der Kinderbetreuung für unter 6-Jährige und einem Rückbau der EU („In Europa muss wieder der Hausverstand regieren!“). Das fand sich nun alles bei Nehmmer wieder.

Zu einem großen Thema lieferte der Kanzler jedoch eine deutliche Kursänderung. Beziehungsweise einen Rückschritt: „Unsere größten Errungenschaften bringen uns wenig, wenn wir gleichzeitig unseren Planeten und unsere Umwelt zerstören“, hieß es im Wahlprogramm von Kurz ausdrücklich. Ja, es enthielt immerhin ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „Klimaschutz ernst nehmen“ und Punkten wie „Staatsziel CO2-Neutralität“, „Österreich zum Wasserstoffland Nummer 1 weltweit machen und 30.000 neue Jobs bis 2030 schaffen“ sowie „Verbot des Entsorgens von frischen Nahrungsmitteln in Supermärkten“. An anderer Stelle wird sogar eine „Ökologisierung des Pendlerpauschales“ angekündigt: „Jemand, der täglich mit der Bahn oder mit einem elektrisch betriebenen Fahrzeug in die Arbeit pendelt, bekommt dasselbe Pauschale wie jemand, der mit einem großen SUV fährt. Hier müssen zusätzlich neue ökologische Aspekte berücksichtigt werden und positive Anreize für klimafreundliche Transportmittel gesetzt werden.“

Nehammer drehte den Spiel nun um. Er wandte sich gegen „Klimakleber“ und unterstellte diesen einen „Untergangssinn“. Er kündigte ein Veto gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren an und bezeichnete Österreich als „Autoland schlechthin“. Jeder dürfe mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, wer aber auf das Auto angewiesen sei, dürfe nicht kritisiert werden. Message: Autofahrer müssen in Schutz genommen werden. Und: Das Problem ist nicht die Klimakrise, sondern eine Klimapolitik, die versucht, den Herausforderungen gerecht zu werden.

Frei nach Nehammer ist ein Mann wie UN-Generalsekretär António Guterres nicht ernst zu nehmen. „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, hat dieser im vergangenen Herbst zum Auftakt der Weltklimakonferenz in Ägypten vor mehr als 100 Staats- und Regierungschefs in Scharm el-Sheich gemeint: „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren.“

Was treibt den Kanzler an? In wachsenden Teilen der Gesellschaft führen multiple und noch dazu größer werdende Krisen zu einem Rückzug. Beziehungsweise dazu, die Herausforderungen erst recht zu verdrängen. Wie man sich in Bezug auf den Ukraine-Krieg einredet, auf der vermeintlichen Insel der Seligen und dank Neutralität ohnehin sicher zu sein, also sich keine Gedanken über europäische Solidarität machen zu müssen, ist das auch bei der Klimakrise. Irgendwie geht’s noch. Da kommen ein paar Aktivisten, die sich auf die Straße kleben, gerade recht, um alle Energie gegen sie einzusetzen und sich einzureden, dass die Lage nicht so dramatisch sei, wie diese Leute tun; dass man trotzig an bisherigen Dingen, wie dem Autofahren, festhalten kann.

Sehr wahrscheinlich würde Kurz heute ähnlich darauf reagieren wie Nehammer. Es liegt schließlich im Wesen populistischer Politik, sich nicht darum zu bemühen, Stimmungslagen zu ändern, sondern sie zu bestätigen. Zumal, so die Befürchtung, sonst ausschließlich die FPÖ abräumen würde.

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