ANALYSE. Die Volkspartei praktiziert politischen Katholizismus für eine Minderheit. Die Kirche überlässt ihr das Feld.
Zugegeben, es ist alles ein bisschen diffus. Doch das ist kein Wunder: Jemand, der ausschließlich eine Politik der Symbole betreibt, begnügt sich halt auch mit Signalen. In diesem Sinne mögen viele den Kopf geschüttelt haben, als sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor eineinhalb Jahren auf einem evangelikalen Großevent nach amerikanischem Vorbild in der Wiener Stadthalle zeigte und segnen ließ; oder wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nun im Beisein ähnlicher Akteure eine „adventliche Gebetsfeier“ im Hohen Haus veranstaltete. Entscheidend ist für die neue Volkspartei, dass über die Rampe kommt, dass sie irgendetwas Christlich-Abendländisches pflegt.
Das reicht. Mehr geht schwer und ist im Übrigen auch nicht wirklich nötig: Zum einen sind die offiziellen Würdenträger der katholischen Kirche noch nicht so weit, dass sie sich derart vereinnahmen lassen würden wie gewisse Zirkel, die ihr Wohlgefallen haben (z.B. die „Loretto-Gemeinschaft“). Und zum anderen ist Kurz und Co. dabei immer auch eine Absage an den Islam wichtig: Siehe Nicht-Einladung von Muslimen zur parlamentarischen Gebetsfeier in Zeiten, die in Wirklichkeit für (fast) alle 8,9 Millionen Menschen schwer sind, die in Österreich leben.
Die Botschaft: Wir schauen auf „unsere“ Kultur und bauen einen Wall gegen Andersdenkende, -tickende und -gläubige. Genau genommen ist das die Pflege einer Drittelgesellschaft durch eine Partei, die mit ihren 37,5 Prozent Stimmenanteil so tut, als herrsche sie allein: Grob gerundet entwickelt sich die Zusammensetzung der Gesellschaft in ein Drittel Katholiken, die überwiegend auf dem Land zu Hause sein; und jeweils ein Drittel Konfessionslose sowie Muslime und Übrige, die eher in urbanen Gegenden leben.
Beim Praktizieren eines politischen Katholizismus hilft der ÖVP, dass die Kirche in den vergangenen Jahren mehr und mehr an Bedeutung verloren hat; und dass sich die Kirche halt mehr und mehr auch selbst zurücknimmt aus dem gesellschaftspolitischen Diskurs. Anders ausgedrückt: Das Wort der Bischöfe hat nicht mehr die Bedeutung, die es einmal hatte; Bischöfe wollen aber auch kaum noch das Wort ergreifen, sie begnügen sich eher damit, freundlich-lächelnde bzw. harmlose Männer zu sein.
Ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel für diese Entwicklung ist die Katholische Sozialakademie: Das war einmal eine Instanz. Nicht, dass umgesetzt wurde, was sie propagierte. Sie wurde jedoch gehört. Mit Herwig Büchele, ihrem damaligen Chef, hat Bruno Kreisky 1978 sogar ein Buch herausgegeben („Kirche und demokratischer Sozialismus“). Offenbar war es bereichernd, was aus dieser Schmiede kam. Später hat Büchele im Übrigen Plädoyers für ein Bedingungsloses Grundeinkommen gehalten, wie sie heute selten sind. Auch hier gilt: Man muss nicht derselben Meinung sein; die Ideen sind zumindest aber anregend, ernstzunehmen.
Heute ist die Katholische Sozialakademie, die der Bischofskonferenz zugeordnet ist, nicht mehr wahrnehmbar. Offenbar will man nicht auffallen. Wäre es anders, würde die ÖVP in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen nicht nur vom letzten Kirchenrest, der Caritas, herausgefordert werden, könnte die Partei nicht so mir nichts, dir nichts Religiöses kapern.
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