Größeres Impfdilemma

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ANALYSE. In Österreich riskiert man lieber einen weiteren Lockdown als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Leuten, die noch nicht geimpft sind. Es geht ja um Wähler.

Die originelle Idee kommt bezeichnenderweise nicht von der Regierung, sondern vom Bundespräsidenten: Alexander Van der Bellen erklärt die Hofburg für einen Tag zur Impfburg. „Holen Sie sich Ihren Piks in der schönsten Impfstraße Österreichs, im Marmorsaal der Hofburg“, appelliert er zum Nationalfeiertag an die Bevölkerung.

Handlungsbedarf gibt es. So sehr Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in der Pandemie immer wieder erklärt hat, dass man im internationalen Vergleich zu den Besten gehöre, so sehr hat er das unterlassen, wenn’s ums Impfen ging. Aus nachvollziehbaren Gründen: In Westeuropa haben praktisch alle Länder eine höhere Impfquote als Österreich. Am höchsten ist sie in Portugal mit 86,4 Prozent, gefolgt von Spanien (79,3) und Dänemark (75,7 Prozent). Italien hält eine Quote von 70,2 Prozent, Norwegen, Frankreich, Finnland und Schweden und Großbritannien liegen bei gut zwei Dritteln. Knapp dahinter befindet sich Deutschland (65,2), weit dahinter Österreich mit 61,2 Prozent. Vor wenigen Tagen wurde Österreich von der Schweiz überholt, wo sich die Regierung im September Gedanken darüber gemacht hat, wie man Leute mobilisieren könnte. Ein Ergebnis: Wer eine ungeimpfte Person zum „Piks“ überredet, erhält 50 Franken. Laut einem NZZ-Bericht ist man überzeugt, das Geldzahlungen wirken.

In Österreich ist man mit weiteren Initiativen zurückhaltend, um es vorsichtig auszudrücken. These: Das verschärft das Problem noch einmal. Begründung: Auch die Regierung hat lange betont, dass bis zu 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssten, um gut über den Winter bzw. durch bevorstehende Infektionswellen zu kommen. Jetzt wird dem jedoch kein Nachdruck verliehen, obwohl die Quote um ein Viertel zu niedrig ist. Das könnte den Eindruck erwecken, dass es doch nicht so wichtig ist für das Gemeinwesen, sich impfen zu lassen.

Sehr wahrscheinlich ist das Ganze parteipolitisch motiviert. Im Unterschied zu Österreich hat das sehr kleine Liechtenstein gerade untersuchen lassen, wie die Leute zum Impfen stehen. Von 40.000 Einwohnern haben sich 5000 an der Befragung beteiligt. Vergleichbares gibt es hierzulande nicht. Sprich: Entweder ist man nicht interessiert an den Motivlagen oder man will sie gar nicht kennen. Wie auch immer: Im Fürstentum hat sich ein ähnlich großer Anteil der Bevölkerung noch nicht impfen lassen. Und davon geben wiederum 81 Prozent an, sich definitiv nicht impfen lassen zu wollen. Hauptargumente: Impfstoffe seien zu wenig erprobt; es gebe Zweifel an der Wirksamkeit oder andere Möglichkeiten, das Immunsystem zu stärken. Politisch ordnen sich Impfgegner selbst eher rechts als links zu. Uni-Wien-Erhebungen, die wesentlich kleiner sind, haben das auch für Österreich bestätigt.

Das ist ein Problem für die ÖVP. In Oberösterreich hat sie das bei der Landtagswahl Ende September brutal erfahren: Die „Impfgegnerliste“ MFG setzt sich laut SORA-Analyse zu 32 Prozent aus ehemaligen FPÖ- und zu 31 Prozent aus ehemaligen ÖVP-Wählern zusammen. Für eine Volkspartei, die bei der letzten Landtagswahl (2015) bereits an die Freiheitlichen ausgeronnen ist, ist das ein Hammer.

Also werden Menschen, die noch nicht geimpft sind, in Österreich gar nicht weiter angesprochen. Es gibt keine sichtbaren Initiativen, wie in der Schweiz eine nationale Impfwoche im November. Allfällige Maßnahmen wie die 3-G-Regel am Arbeitsmarkt werden allenfalls nur zögerlich umgesetzt. Man will bei den Leuten möglichst nicht unangenehm auffallen, um das Risiko zu vermeiden, dass sie sich letztlich auch politisch abwenden.

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