Getriebenes Österreich

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ANALYSE. Bei der Bekämpfung der Pandemie kann die Regierung allenfalls nur strenger vorgehen als Deutschland – und damit vernebeln, wie wenig sie unter Kontrolle hat, nicht einmal die Zahl der Spitalsbetten.

Wenn es nicht falsch wäre, könnte man auch von einem Kontrollverlust sprechen. Das würde jedoch bedeuten, dass es jemals eine Kontrolle über das Geschehen gab. Stand 29. Oktober muss man das bezweifeln: Die Bekämpfung der Pandemie ist eher nur wirkungsvoll gewesen, nachdem die Regierung eine Art „Lockdown“ über Österreich verhing. Abgesehen davon hat sie ganz offensichtlich nicht viel ausrichten können. Schwacher Trost: In allen Nachbarländern ist es nicht anders gelaufen, überall schießen die Zahlen in die Höhe.

Dennoch muss man sich das mit der Nicht-Kontrolle genauer anschauen. Es verweist nämlich auf Verhältnisse, die in Österreich schon lange unerträglich sind und die sich nun als so verhängnisvoll erweisen. Die Rede ist davon: A) Parteipolitik und B) Bund-Länder-Chaos.

Zur Parteipolitik ist hier schon einiges geschrieben worden (> Analyse „Parteipolitik bis zum Untergang“). Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat das destruktive Gegeneinander von Türkis und Grün auf Regierungsebene und Türkis und Rot darüber hinaus in seiner Rede zum Nationalfeiertag indirekt angesprochen, als er die verantwortungslosen Akteure ermahnte, dass das Virus keine Farbe kenne, sondern einfach nur ein Virus sei.

Zum Bundes-Länder-Chaos hat der Rechnungshof schon dutzende Berichte geschrieben. Es existiert in vielen Bereichen. Bei den Schulden ist es beispielsweise so, dass der Bund die Pflichtschullehrer bezahlt, die die Länder beschäftigen, ohne sich groß dreinreden lassen zu wollen. Ischgl hat einen anderen Missstand aufgezeigt: „Mittelbare Bundesverwaltung“ ist nichts anderes als eine Regelung zur Vernebelung von Verantwortung. Bei schönem Wetter führen sich Landeshauptleute auf wie absolut regierende Sonnenkönige, wenn’s hart wird, behaupten sie, dass ihnen der Bund nicht gesagt habe, was zu tun ist.

Und jetzt weiß der Bund nicht einmal, wie viele Spitalsbetten es gibt. Kein Schmäh: Mehr als ein halbes Jahr nach Ausbruch der Pandemie muss die Regierungsspitze mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vize Werner Kogler (Grüne) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Experten laden, um beurteilen zu können, wie die Perspektiven sind. Natürlich: Das ist auch Inszenierung. Aber nicht nur: Vorarlberg meldet laut AGES-Datenbank 64 Normalbetten für CoV-Patienten, Wien 2700. Hier stimmt etwas nicht. Aber die Länder lassen sich ja nichts vorschreiben, geschweige denn, sich kontrollieren.

In Wahrheit sind Kurz und Co. nur noch Passagiere, muss sich Österreich bei neuen, weitreichenden Beschränkungen an Deutschland orientieren. Auch wenn es wehtut, weil schlichte Kriterien wie bestätigte Neuinfektionen pro 100.000 Neuinfektionen und Woche einiges, aber nicht Entscheidendes aussagen. Doch was will man machen: Wenn Deutschland sagt, bei mehr als 50 gibt es eine Reisewarnung, hat man den Schaden. Stichwort Wintersaison. Und wenn Deutschland die viel höheren Zahlen und die (noch) lascheren Maßnahmen in Österreich sieht, erst recht. Schlimm: Österreich kann nur über noch üblere Maßnahmen wie eine Ausgangssperre diskutieren, um davon abzulenken.

Wäre Österreich europafreundlich, würde es zumindest das zum Anlass neben, ein gemeinschaftliches Krisenmanagement über „Brüssel“ zu initiieren: Besser, als sich Maßnahmen vom großen Nachbaren de facto diktieren lassen zu müssen, wäre es wohl, zumindest so zu tun, als könne man im Kreis von 27 EU-Mitgliedstaaten daran mitarbeiten. Aber das ist eine andere Geschichte.

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