Coronakrise erfasst Kurz

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ANALYSE. Sinkende Beliebtheitswerte kommen nicht irgendwoher: Symbolpolitik und Inszenierung können der Lebensrealität sehr vieler Österreicher nicht mehr gerecht werden.

Genau genommen ist es ja ein Luxusproblem, das Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gerade hat: Bei einer Direktwahl würde er klar gewinnen, seine Partei liegt ebenfalls weit vorne. Und überhaupt: Was sind schon Umfragen mitten in der Legislaturperiode, ja in einer Jahrhundertkrise? Genau das aber ist die größte Schwäche von Kurz: Er orientiert sich eher nur an Umfragen. Also muss ihn ganz brutal getroffen haben, was die reichweitenstarke Tageszeitung „Heute“ gerade getitelt hat: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) habe ihn „vom Thron“ gestürzt. Bei den Beliebtheitswerten sei er nach 2484 Tagen nicht mehr die Nr. 1. Anschober liegt vorne.

In sozialen Medien wird dem Gesundheitsminister prompt geraten, sich warm anzuziehen: Wer Sebastian Kurz gefährlich wird, werde zu seinem Gegner. Ein bisschen hat Anschober das ja schon zu spüren bekommen, als er von Türkis für Unzulänglichkeiten beim Corona-Krisenmanagement quasi alleinverantwortlich gemacht worden ist.

Wie auch immer: Es wäre kleinkariert von Kurz, sich auf dieses Niveau herabzulassen. Sein Problem ist viel größer: Sein politischer Erfolg beruht auf Botschaften zu Problemen, die für eine Masse abstrakt sind. Beispiel Flucht und Migration: Wer auf dem Land lebt, kennt davon betroffene Menschen eher nur vom Hörensagen. Und Wähler der ÖVP leben zu einem großen Teil auf dem Land.

Ähnlich verhielt es sich mit Ansagen wie „Sparen im System“ und „Entlastung“: Stutzig werden konnten diesbezüglich nur diejenigen, die wussten, dass mit Ersterem wenig zu holen ist und Zweiteres auf Dauer nur dann möglich ist, wenn Leistungen wie Pensionen gekürzt werden. Für alle anderen waren das Ansagen, die einfach nur verlockend klingen.

Jetzt aber ist alles anders: Wir haben die Coronakrise. Und sie ist für die Masse täglich spürbar: Da kann Kurz nicht bluffen, da wird ihm zum Verhängnis, wenn er zu weit geht. Beispiele: Tausende Unternehmer wissen, dass es mit den Hilfen nicht gut genug funktioniert; für sie ist es eher eine Provokation, wenn Kurz sagt, dass das ausschließlich an Unzulänglichkeiten in ihrem Einflussbereich liege. Arbeitslose können nicht mehr nur als Leistungsunwillige abgetan werden, die mit einer almosenhaften Einmalzahlung beruhigt werden; Hunderttausende finden schlicht und ergreifend keinen Job.

Oder: Die Österreicher in der Gesundheitskrise in Angst zu versetzen, war zunächst vielleicht nicht schlecht. Sagen wir, es hat geholfen, den Ernst der Lage zu erkennen. Es Ende März aber auch noch zu einem Zeitpunkt zu tun, als offenbar klar war, dass sich das Ärgste abwenden lässt, war verhängnisvoll für Kurz: Das vergessen die Leute nicht. Und als sie dann auch noch sehen mussten, wie auf einer Versammlung zu seinen Ehren im Kleinen Walsertal auf Abstandsregeln und dergleichen gepfiffen wurde; und er null Verantwortung bei sich selbst ortete, war das Fass übergelaufen: Die Kanzler-Inszenierung brach in sich selbst zusammen, man hat sich über Wochen hinweg offenbar zu diszipliniert an alle Vorschriften gehalten und zu sehr gefürchtet. Man ist vom Kanzler auf den Arm genommen worden.

Wie gesagt: Wir sind mitten in der Legislaturperiode. Da könnte Kurz sogar froh sein, dass es jetzt zu diesem Stimmungseinbruch auf hohem Niveau gekommen ist. Wenn er dazu in der Lage ist, dann gibt ihm das die Möglichkeit zu einer Kurskorrektur bzw. zu viel weniger Inszenierung und Message Control – und zu mehr nüchterner Politik, die der Lebensrealität einer Masse gerecht wird.

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