Kickls Grenzen

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ANALYSE. Bei der EU-Wahl wird es anders kommen als erwartet: Sehr wahrscheinlich teilnehmen wollen zwei Mal mehr als beim letzten Mal und ziemlich viele sehen die EU noch immer positiv.

Die Wahlbereitschaft ist wirklich groß. 2014 lag sie bei 45, 2019 gar bei 60 Prozent. Die Rede ist von der Europawahl. Am 9. Juni wird wieder eine stattfinden. Vor wenigen Tagen hieß es in vielen Medien, dass sich diesmal 70 Prozent der Wahlberechtigten hierzulande beteiligen wollen. Quelle: Eine Eurobarometer-Erhebung von Ende Februar, Anfang März. Genau genommen handelte es sich um eine Summe. Befragte waren gebeten worden, auf einer Skala von eins bis zehn anzugeben, wie wahrscheinlich sie wählen gehen werden. Zehn stand für sehr wahrscheinlich. 70 Prozent sind die Summe der Angaben von sieben bis zehn. Auf zehn allein entfielen ganze 40 Prozent. Das waren über zwei Mal mehr als bei einer Befragung vor der Europawahl vor fünf Jahren (18 Prozent).

Doch was heißt das? Wird der EU ein Denkzettel erteilt? Oder eine Abfuhr, wie man so sagt? Kann die FPÖ davon ausgehen, zu triumphieren und Richtung 30 Prozent zu kommen? Vorsicht. Die EU-Stimmung in Österreich ist zwar schlecht. Gegenüber 2019 ist sie aber nicht gekippt und nicht nur katastrophal. Gaben vor fünf Jahre 24 Prozent an, dass die Union aus ihrer Sicht ein sehr oder ziemlich negatives Image habe, so sind es heute 25 Prozent. Umgekehrt hat sie noch immer für 36 Prozent ein positives und für 39 Prozent ein „neutrales“ Image.

Zwischenstand vor diesem Hintergrund: Es hat einen Grund, dass die FPÖ keinen konsequenten, sondern einen diffusen Anti-EU-Kurs fährt. De facto läuft er auf einen Öxit hinaus. So deutlich würden es Herbert Kickl und Harald Vilimsky aber nie aussprechen, weil sie wissen, dass das Potenzial, das damit zu holen ist, begrenzt ist.

Siehe die erwähnten 25 Prozent. Insofern ist es ein verhängnisvoller Fehler der ÖVP, zu glauben, hier mitmischen zu müssen. Hier ist nicht viel zu holen. Beim – frei nach Othmar Karas – Anbiedern an die Ränder kann sie kaum etwas zu gewinnen. Im Gegenteil, sie, die einmal stolz behauptete, proeuropäisch zu sein, droht daneben viel zu verlieren.

„Daneben“ sind die Potenziale geradezu riesig. Zu Erinnerung: 36 Prozent sehen die EU positiv, 39 Prozent neutral. Insgesamt sind das 75 Prozent. Bietet sich ihnen die FPÖ an? Nein, gar nicht. Die ÖVP? Nur noch sehr eigeschränkt.

Das ist aber eben ein Zwischenstand: Nur weil eine Europawahl stattfindet und viele daran teilnehmen dürften, heißt das nicht, dass Europapolitik allein entscheidend sein wird. Viel spricht dafür, dass Bundespolitisches stark mitschwingen wird. Das war zuletzt schon bei Landtags- und Gemeinderatswahlen so.

Gut für die FPÖ? Wieder Vorsicht: Ihre Klientel ist genau die, die bei Europawahlen am ehesten zu Hause bleibt. Nicht, dass sie – nach 17,2 Prozent vor fünf Jahren – nicht trotzdem massiv gewinnen wird. Sie könnte aber weniger stark werden als sie es bei einer Nationalratswahl tun würde.

Für die ÖVP ist das Ganze ein dreifaches Unglück: Sie kann nicht mehr glaubwürdig behaupten, Europapartei zu sein und muss im Übrigen damit rechnen, bundespolitisch doppelt abgestraft zu werden: Für die Enttäuschungen, die mit Sebastian Kurz einhergegangen sind; und – als Regierungspartei – für die Unzufriedenheit, die aufgrund der vielen Krisen besteht.

Das ist etwas, was auch die Grünen belastet. Sie haben darauf reagiert und sind ein erhebliches Risiko eingegangen, indem sie auf die Quereinsteigern Lena Schillig als Spitzenkandidatin setzen. Europapolitik? Unbekannt. Vielleicht aber reicht es schon, für Kilmaschutz und bisher vor allem nicht „Berufspolitiker:in“ zu sein. Siehe Dominik Wlazny.

Die SPÖ will an diesem Samstag auf einem Bundesparteirat „mir Herz und Hirn“ (Veranstaltungsmotto) aufzeigen. Bedarf hätte sie. Ihre Aufgabe: Eine Brücke von der sozialen Lage in Österreich zu einem aus ihrer Sicht besseren Europa schlagen.

Die Neos haben – als bisher einzige Partei – ein Programm für die Europawahl vorgestellt und eine günstige Ausgangslage, die quasi siegelverkehrt zu der der Freiheitlichen ist: Im Unterschied zu diesen sind sie deutlich proeuropäisch und haben große Teile dieses Feldes allein für sich, nachdem es von ÖVP und Grünen eben aufgegeben oder vernachlässigt wird.

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