Schlag nach bei der Gurkenverordnung

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ANALYSE. Warum selbst EU-Vorgaben für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes ihren Sinn haben können.

Sie erinnern sich noch an die EU-Gurkenkrümmungsverordnung? Sie stand für den „Regelungswahnsinn“, wie ihn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach wie vor ortet, bis es Brüssel zu bunt wurde und zumindest sie gestrichen wurde. Was dabei jedoch untergeht: Vergleichbare Regelungen gab es zuvor in den Mitgliedstaaten; sie haben den Binnenmarkt erschwert und daher waren es letzten Endes auch Mitgliedstaaten, die eigentlich lieber an der EU-Verordnung festgehalten hätten.

Zunächst jedoch ein Gedankenspiel: Sagen wir, Sie stellen Pommes her oder betreiben eine Fastfood-Kette, die in ganz Europa tätig ist. Was ist Ihnen lieber: Eine einheitliche Regelung für ganz Europa oder eine pro Mitgliedsland? Also.

Um nicht missverstanden zu werden: Jede Vorschrift ist immer auf ihre Sinnhaftigkeit und damit auch Notwendigkeit zu hinterfragen. Im Zweifelsfall soll sie weg. So einfach, wie es sich zunächst anhört, ist es aber nicht. Und überhaupt.

Gurkenkrümmungen waren zunächst national geregelt.

Die EU hatte in einer eigenen Verordnung jahrelang Regelungen betreffend Gurken. Ja, Gurken. Allein: Was Kritiker dabei unterschlugen, war, dass es Vergleichbares zuvor z.B. auch in Österreich gegeben hat. Schlag nach in der Qualitätsklassenverordnung, die bis zum EU-Beitritt unter anderem eben auch sehr, sehr ausführliche „Qualitätsklassen und Qualitätsnormen für Gurken“ enthielt. Darin hieß es etwa, was Gurken sein müssen: „ganz, gesund, von frischem Aussehen, fest, sauber, insbesondere frei von sichtbaren Rückständen von Behandlungsmitteln, nicht bitter (vorbehaltlich der für Klasse II vorgesehenen Toleranzen), frei von anomaler äußerer Feuchtigkeit (und) frei von fremdem Geruch oder Geschmack.“ Im Übrigen bestimmte die nationale Verordnung, was Gurken höchster Qualität sein müssen: nämlich „sortentypisch gut entwickelt, gut geformt und fast gerade sein (maximale Krümmung 10 mm auf 10 cm Länge der Gurke) …

Originell ist, was Wikipedia zur EU-Gurkenverordnung (Verordnung Nr. 1677/88/EWG) festhält: „Da sie unter anderem festlegte, dass eine Gurke der Handelsklasse „Extra“ maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen durfte, wurde die Verordnung als Gurkenverordnung oder Gurkenkrümmungsverordnung berühmt.“ Sprich: In ihrem Fall wurde zum Gespött, was vorher national selbstverständlich gewesen war. Im Grunde genommen handelte es sich im Sinne des Binnenmarktes jedoch um einen Fortschritt.

Wie auch immer: Die Verordnung stand laut Wikipedia „synonym für eine als überbordend empfundene Bürokratie Brüssels und diente EU-Kritikern und Kabarettisten zwanzig Jahre lang als gängiger Beleg für zügellosen Regelungswahn der europäischen Verwaltung. Die Europäische Kommission setzte die Verordnung 2009 außer Kraft, obwohl sich eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten sowie Handels- und Bauernverbände für eine Beibehaltung aussprachen. Die wichtigsten Großhändler verwenden die Vorgabe weiterhin als interne Normung.“ Was immerhin zeigt, dass es ganz offensichtlich auch so gehen kann.

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