ANALYSE. Für Österreich ist es schwer genug, eine weitsichtige Position zum Krieg in der Ukraine einzunehmen. Unsägliche Vergleiche, wie sie Schallenberg und Sobotka angestellt haben, gehen gar nicht.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat in den vergangenen Tagen sehr viel Achtung gewonnen. Einerseits durch seine unmissverständliche Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine, andererseits durch sein klares Bekenntnis zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Land und dem starken Signal, das Wiener Heldentor in Blau-Gelb tauchen zu lassen.
Wir setzen heute ein sichtbares Zeichen der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung. Die Bundesregierung bestrahlt – in Absprache mit Bundespräsident @vanderbellen – das Heldentor in Wien mit den Landesfarben der Ukraine blau & gelb. #yeswecare #allesfürdenFrieden pic.twitter.com/AuiZX6DqZl
— Karl Nehammer (@karlnehammer) February 27, 2022
Man kann Nehammer ankreiden, dass er sich bisher gegen die Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen habe, selbst als es etwa um Menschen aus Syrien oder Afghanistan ging, die unter unsäglichen Verhältnissen auf griechischen Inseln ausharren müssen. Was aber soll die Konsequenz daraus sein? Im Moment brauchen hunderttausende Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine Schutz; ihr Leben ist akut gefährdet. Also ist gut, wichtig und dringlich, was Nehammer ihnen gegenüber signalisiert.
Als ÖVP-Chef überfordert der Kanzler damit offenkundig auch den einen oder anderen Parteifreund, der noch einen klassisch-türkisen Umgang mit dem Thema gewohnt ist. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat im „Club 3“ von „profil“, „Kurier“ und „Krone“ am Wochenende nicht nur einen untragbaren Vergleich in Bezug auf seine Rolle im ÖVP-U-Ausschuss und der Ausschaltung des Parlaments 1933 getätigt, sondern auch zur Flüchtlingspolitik: „Die Ukrainer müssen in der Ukraine bleiben und letztlich ihr Land verteidigen. Was wäre gewesen, wenn alle Österreicher nach 1945 geflohen wären?“ Später ließ er über einen Sprecher wissen, dass dies unpassend gewesen sei, es ihm in Wirklichkeit darum gegangen sei, zu betonen, dass „in allererster Linie vor Ort den Menschen“ geholfen werden müsse.
Das macht die Sache nicht gut: Zum einen erinnert es an die bisherige ÖVP-Argumentation gegen die Aufnahme von Flüchtlingen (stattdessen „Hilfe vor Ort“). Zum anderen stellt es die aktuellen Entwicklungen in einen wirklich unpassenden historischen Kontext, den sich gerade Österreicher ersparen sollten. So wie der Vergleich von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor einer Woche, als er mit dem Hinweis davor warnte, die Ukraine alleine zu lassen, dass „wir“ 1938 am eigenen Leib erlebt hätten, wie das ist. Hinterher präzisierte er, nicht den Opfermythos strapaziert zu haben, sondern jene Leute gemeint zu haben, die vergeblich versucht haben, den Anschluss an Hitler-Deutschland zu verhindern.
Offen bleibt die Frage, was Schallenbergs „1938“ und Sobotkas „1945“ Russland signalisieren soll. Das zeigt wiederum, wie verantwortungslos die Äußerungen auch in dieser Hinsicht sind.
Den besonnenen Kurs, um den sich Nehammer bemüht, konterkariert es. Ein solcher ist ohnehin schwer genug. Zu seiner Aussage in der ORF-Pressestunde, dass sich Österreich als Verhandlungsort für Russland und die Ukraine anbiete, schrieb der Russland-Experte Gerhard Mangott auf Twitter sarkastisch: „Verzeihung, aber ich habe keine Zeit zum Lachen.“
Österreich als Verhandlungsort für Russen und Ukrainer? Verzeihung, aber ich habe keine Zeit zum Lachen.
— Gerhard Mangott (@gerhard_mangott) February 27, 2022
Österreich muss sich erst eine glaubwürdige Position erarbeiten. Das geht nicht von heute auf morgen, zu eng und (auch persönlich) freundschaftlich waren die Beziehungen zum offiziellen Russland bisher, als dass es sich der ukrainischen Seite umgehend auch nur als neutraler Gastgeber für Verhandlungen anbieten könnte.
Es ist schon eine Herausforderung, einerseits Solidarität mit der Ukraine zu bekunden und sie zu unterstützen sowie andererseits das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands zu verurteilen und Sanktionen mitzutragen, bei alledem aber einen Spielraum für Diplomatie zu lassen.
Man muss an die Zukunft denken. Wolfgang Ischinger, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, schreibt auf Twitter: „Jetzt ist der Augenblick gekommen, um „The Art of Diplomacy“ zu praktizieren. Aufgabe: Russland einen gangbaren „off ramp“-Weg aufzuzeigen. Dummes Geschwätz über Tribunal in Den Haag f Putin, Lavrov etc. aktuell mehr als töricht, ja provozierend gefährlich.“ Das ist eine wichtige Ermahnung, ist man doch auch selbst geneigt, aus der Emotion heraus Wladimir Putin was-weiß-ich-nicht-was-alles zu wünschen.
Jetzt ist der Augenblick gekommen, um „The Art of Diplomacy“ zu praktizieren. Aufgabe: Russland einen gangbaren„off ramp“ Weg aufzuzeigen. Dummes Geschwätz über Tribunal in Den Haag f Putin, Lavrov, etc ist aktuell mehr als töricht, ja provozierend gefährlich
— Wolfgang Ischinger (@ischinger) February 27, 2022
Selbst wenn es unglaublich viel Überwindung kostet, geht es doch darum, was Ischinger sagt: Putin hat einen großen Fehler gemacht. Er hat Russland in eine Lage gebracht, in der es letztlich nur verlieren kann. Genau das ist jedoch so bedrohlich, könnte es für ihn doch bedeuten, auf gar nichts mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Also sollten jetzt Überlegungen dazu angestellt werden, wie er da mit seinem Land wieder rauskommen könnte. Es geht hier nicht darum, ein Auge zuzudrücken, sondern darum, dass die Waffen ruhen.
Das würde gerade auch Österreich gut anstehen, das zumindest bisher den einen oder anderen Draht zu Putin hatte, in letzter Konsequenz neutral bleiben und zu einer Vermittlerrolle bereit sein möchte.
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