Tendenz zur Nullzuwanderung

-

ANALYSE. Integrationsministerin Raab (ÖVP) und FPÖ-Chef Kickl betreiben eine verhängnisvolle Symbolpolitik.

Wer ist Susanne Raab? Ihre Mitteilung, dass sie eine „falsche Form der Zuwanderung“ sehe, täuscht darüber hinweg, dass sie Integrationsministerin ist und einer Partei (der ÖVP) angehört, die seit ungefähr einem Vierteljahrhundert mehr oder weniger ununterbrochen, den zuständigen Innenminister, die zuständige Innenministerin stellt: Ernst Strasser, Liese Prokop, Günther Platter, Maria Fekter, Johanna Mikl-Leitner, Wolfgang Sobotka, Karl Nehammer und jetzt Gerhard Karner. Haben sie alle versagt? Laut Raab: Ja.

Die Ministerin will das ändern. Und zwar dadurch, dass sie Druck für die von Nehammer geforderte Kürzung von Sozialleistungen für Zuwanderer:innen macht, die noch keine fünf Jahre in Österreich sind. Hintergedanke: So soll ihnen ein Anreiz genommen werden, überhaupt zu kommen.

Das ist reine Symbolpolitik. Erstens: Raab täuscht darüber hinweg, dass – wie hier berichtet – Zuwanderung aus anderen EU-Mitgliedsländern überwiegt. Das ist insofern erwähnenswert, als eine solche nach Ansicht von Rechtspopulisten vertretbar wäre, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch verdeutlichte. Zweitens: Raab täuscht im Übrigen darüber hinweg, dass von einer solchen Kürzung kaum jemand betroffen wäre. Das hat die „Kleine Zeitung“ gerade ausgeführt: EU-Staatsangehörige und Asylwerber müssten mehr oder weniger ausgenommen werden. Drittens: Raab täuscht darüber hinweg, dass zum Beispiel Asylwerber aus Afghanistan eher nicht mehr in Österreich bleiben wollen. Die Asylstatistik des Innenministeriums zeigt, dass eine große Zahl von ihnen Österreich nur noch als Transitland betrachtet und weiterzieht.

Was Raab macht, ist verhängnisvoll. Es reiht sich ein in den Geist des türkis-blauen Regierungsprogramms in Niederösterreich, wonach eine Deutschpflicht bzw. ein Fremdsprachenverbot auf Schulhöfen eingeführt werden soll. Es geht schlicht um ein dumpfes Signal gegen Migrantinnen und Migranten. Botschaft: Man will eigentlich gar keine Zuwanderung.

Das bringt auch Kickl zum Ausdruck, wenn er sich aufgrund des wachsenden Arbeitskräftemangels windet, seine „Festung Österreich“-Ansage relativiert und meint, man solle das Gastarbeitermodell der 1960er und 1970er Jahre reaktivieren. These: Das funktioniert nicht mehr. Wie erwähnt: Nicht einmal afghanische Staatsangehörige sehen in Österreich noch das gelobte Land, das sie in Massen anpeilen. („Nicht einmal“ bezieht sich darauf, dass es ihnen hier zumindest materiell und rechtlich ungleich besser gehen müsste als in Afghanistan.)

Das hat wohl auch damit zu tun, dass es mittlerweile in vielen Staaten ein Werben um Zuwanderer gibt. Deutschland erwägt etwa, Einbürgerungen zu erleichtern. Österreich bzw. Leute wie Raab sagen dagegen, dass die Staatsbürgerschaft ein hohes Gut sei, das sich Zuwanderer erst verdienen müssten. Das ist wieder so ein Signal: Zuwanderer sind minder.

Ein Ergebnis davon ist, dass Österreich eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Einbürgerungsquote hat. Und wenn man sie sich nach bisheriger Staatsangehörigkeit anschaut, fällt auf, dass sie z.B. bei Deutschen nicht nur niedrig, sondern verschwindend klein ist. 216.731 Deutsche lebten Anfang 2022 in Österreich. Zweihundertachzig ließen sich im Laufe des Jahres einbürgern. Das ergibt eine Quote von 0,13 Prozent.

Der Hinweis, dass es sich um EU-Bürger handelt, ist nicht befriedigend. Das Problem ist, dass die vielen nicht Eingebürgerten – und unter diesen vor allem jene, die länger bleiben – in Bezug auf demokratische Rechte österreichischen Staatsangehörigen nicht gleichgestellt sind. Und dass eine Einbürgerung dafür stehen würde, dass sie sich stärker an das Land binden. Aber das wollen Raab und Co. nicht – und das wollen auch die meisten von ihnen nicht. Genauer: Sie verzichten darauf, weil man ihnen zeigt, dass es nicht erwünscht sind.

dieSubstanz.at ist ausschließlich mit Ihrer Unterstützung möglich. Unterstützen Sie dieSubstanz.at gerade jetzt >

dieSubstanz.at – als Newsletter, regelmäßig, gratis

* erforderliche Angabe


Könnte Sie auch interessieren

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner