Kurz kann nicht anders

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ANALYSE. Der Wahlerfolg 2017 hat den Kanzler und ÖVP-Chef auch zu einem Getriebenen gemacht. Er muss die vielen Anhänger, die aus dem FPÖ-Lager kommen, bei Laune halten.

Was Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz dazu motiviert hat, eine antieuropäische Note in den Wahlkampf zu bringen und von Bevormundung durch Brüssel und einem Regulierungswahnsinn ebendort zu reden, wie man es in anderen Worten eher nur auf FPÖ-Plakaten liest? Ganz einfach: FPÖ und Neue ÖVP sprechen zum Teil identische Zielgruppen an. Ja, es geht sogar noch weiter: Kurz muss diese seit der Nationalratswahl 2017 bei Laune halten.

Die Neue ÖVP ist wirklich nicht mehr die alte ÖVP. Die Zusammensetzung der Wählerschaft hat sich zum Beispiel sehr stark verändert. Das sollte man nicht übersehen; er erklärt nämlich, welchen Zwängen sie bei allen Erfolgen ausgesetzt ist. Anders ausgedrückt: Soll die Wählerschaft zumindest nicht kleiner werden, ist es naheliegend, darauf zu achten, dass ihre Zusammensetzung möglichst unverändert bleibt.

Jeder zehnte ÖVP-Wähler kam von der FPÖ.

Im Klartext: 2017 hat Kurz die Nationalratswahl mit entsprechenden Angeboten (> restriktive Flüchtlingspolitik) dank ehemaliger FPÖ-Wähler gewonnen. Laut SORA-Wahltagsbefragung waren es 168.000, die zu seiner Bewegung bzw. zur Neuen ÖVP wechselten. Das sind extrem viele: Wären sie bei der FPÖ geblieben, wäre die FPÖ mit einem Vorsprung von rund 50.000 Stimmen auf Platz eins gekommen.

Oder: Die Neue ÖVP kam auf insgesamt 1,6 Millionen Stimmen. Die Ex-Blauen machten also gut ein Zehntel aus. Und das war noch nicht alles: Der FPÖ nahe oder verwandt waren auch das Team Stronach und das BZÖ. Von ihnen, die vor zwei Jahren nicht mehr kandidierten, holte Kurz weitere 158.000 Wähler. Ein weiteres Zehntel also.

In der Neuen ÖVP haben bisherige Kernzielgruppen damit naturgemäß an Bedeutung verloren. Christlichsoziale beispielsweise. Oder eben Bürgerliche, die überzeugte Europäer sind. Sie befinden sich als Parteianhänger mit ziemlich vielen konfrontiert, die zum Beispiel mit der EU exakt null am Hut haben.

Sonst würde Kurz eine Wahlniederlage riskieren.

Kurz muss sie alle bei Laune halten. Insofern hat er sich mit dem Wahlerfolg 2017 auch zu einem Getriebenen gemacht: Würde er heute flammende Plädoyers für eine Vertiefung der europäischen Integration halten, müsste er sich auf größere Wahlniederlagen gefasst machen. Und das tut er ganz sicher nicht.

Worüber man sich eher wundern muss, ist dies: Dass Kurz trotz dieser Ausgangslage Othmar Karas zum ÖVP-EU-Wahl-Spitzenkandidaten küren ließ. Und dass er ganz offensichtlich glaubte, dass Innenstaatssekretärin Karoline Edtstadler das ausgleichen könne, obwohl sie wie alle anderen Parteifreunde auf Bundesebene neben ihm kein eigenständiges Profil entwickeln konnte. Doch das hat sich nun ohnehin erledigt; Kurz hat die Wahlkampfführung aus den erwähnten Gründen höchstpersönlich übernommen.

 

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