ANALYSE. Kocher geht zur Nationalbank, Brunner nach Brüssel: Der Kanzler lässt Leute ziehen, die im Hinblick auf die Wahl noch wichtig gewesen wären für ihn.
Wenn man davon ausgeht, dass sich politische Stimmungslagen nicht so mir nichts, dir nichts beeinflussen lassen, muss man sich wundern über diesen Nationalratswahlkampf: Anders als 2017 oder 2019 etwa ist es eineinhalb Monate vor dem Urnengang ziemlich ruhig. Dass FPÖ-Chef Herbert Kickl in Erwartung eines Erfolgs nichts mehr riskiert, ist nachvollziehbar. Dass SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler keine wahrnehmbare Bewegung inszeniert, die auch Leute mitreißt, die nicht unmittelbar daran beteiligt sind, ist hingegen seltsam. Zumindest so seltsam wie das Vorgehen von ÖVP-Obmann, Kanzler Karl Nehammer.
Sein Kabinett wird im Vorfeld der Wahl immer kleiner: Wirtschaftsminister Martin Kocher lässt er in die Nationalbank ziehen, Finanzminister Magnus Brunner als Mitglied der Europäischen Kommission nach Brüssel. Beide mögen nicht geglänzt haben in ihren Funktionen. Kocher hat inhaltlich mehr drauf als er politisch gezeigt hat und Brunner kann man sogar nachsagen, ein denkbar schlechter Finanzminister zu sein; einer jedenfalls, bei dem sich Reden („Sparen“) und Tun (Ausgaben laufen lassen) widersprechen.
Für Nehammer sind die beiden jedoch wichtig: Brunner ist im Wirtschaftsflügel der Partei gut vernetzt. Nach außen hin agiert er wie Kocher weitgehend unfallfrei. Nicht zufällig dürften sie daher die türkisen Regierungsmitglieder sein, die über die relativ besten Vertrauenswerte verfügen.
Sie zu ersetzen wird schwer für Nehammer: Als Kanzlerkandidat wäre es zum Beispiel wichtig für ihn, einen herzeigbaren Finanzministerkandidaten zu haben. Genauer: Durch einen solchen könnte er zeigen, dass nicht nur er an sich glaubt, sondern dass auch andere an ihn glauben. Dass eine Persönlichkeit bereit ist, in der nächsten Legislaturperiode unter seiner Führung aufs Geld zu schauen.
Eine solche Person zu finden, wird eine Kunst für ihn: Wer soll sich das antun? Kein Mann und keine Frau, die Rang und Namen hat, wird sich heute hinstellen sind als Finanzministerin anbieten, wenn vollkommen offen ist, ob sie es dann auch wirklich sein wird in der nächsten Regierung.
Das Team, das Nehammer ohne Kocher und Brunner bleibt, spricht für sich selbst: Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig gehört ebenso dazu wie Integrationsministerin Susanne Raab, Innenminister Gerhard Karner, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Bildungsminister Martin Polaschek; Leute, die bei großen Teilen der Wählerschaft unten durch sind. Mit Verfassungsministerin Karoline Edtstadler wiederum tut sich Nehammer schwer, das Vertrauensverhältnis ist gestört.
Das Risiko für ihn: Das alles lässt ihn als Kanzlerkandidaten wenig überzeugend wirken. Wobei: Es ist ein Risiko, das er bewusst eingeht: Seine Kampagne ist allein auf ihn ausgerichtet. Es gibt kein ÖVP-Programm für Österreich, sondern (quasi nur) einen Karl-Nehammer-Plan für das Land. Er tritt allein an. Obwohl seine Persönlichkeitswerte bescheiden sind. Aber halt nicht gar so schlecht wie jene von Herbert Kickl.
Das Kalkül ist, dass es zu einer Duellsituation kommt und er sich als das geringere Übel aus Sicht einer Wählermehrheit durchsetzen kann: Das ist die letzte Hoffnung für eine gezeichnete ÖVP, die FPÖ vielleicht doch noch schlagen zu können.