ANALYSE. Die ÖVP rückt nach rechts und macht zugleich Platz in der Mitte. Damit gewinnt sie viel, verliert aber auch einiges. Siehe die Kommunalwahlen in Vorarlberg. Und bald wohl auch in Wien.
Der Tiefgang von ÖVP-Wien-Wahl-Spitzenkandidat, Finanzminister Gernot Blümel, ist begrenzt. Was zählt, ist das Werben um enttäuschte FPÖ-Anhänger mit einschlägigen und vor allem grellen Signalen. Insofern ist es nachvollziehbar, dass er ein Facebook-Posting löschen ließ, in dem der Schriftsteller Robert Menasse wissen wollte, wie er das meine mit dem Slogan, Wien „wieder“ nach „vorne“ bringen zu wollen. „Ganz ehrlich, das haben wir uns nicht überlegt“, hätte Blümel möglicherweise antworten müssen. Das wäre zu peinlich gewesen. Also löschen.
Ein Blümel mit Tiefgang hätte sich die Hände gerieben und sich sogar riesig gefreut darüber, von jemandem, von dem man ohnehin nicht erwarten kann, dass er auf seiner Seite steht, angegriffen zu werden. Er hätte dargelegt, was die politischen Gegner falsch machen und wie er es anlegen würde; ja, er hätte diese Gelegenheit, sich zu profilieren, dankbar genützt.
Dazu hat’s jedoch nicht gereicht. Was nebenbei auch von erschreckend großer Diskursfeindlichkeit zeugt. Viel bemerkenswerter ist jedoch, dass Blümel die Löschung des Postings damit begründet, dass man NS-Gedankengut keinen Raum bieten wolle. Menasse und NS-Gedankengut? Wie? Blümel ließ sich dabei ertappen, „Fake News“ zu produzieren: Menasse hatte in seinem Posting die Frage aufgeworfen, ob er etwa die Zeit vor dem roten Wien anstrebe, als die Stadt einen antisemitischen Bürgermeister hatte, von dem Hitler lernte; womit der Christdemokrat Karl Lueger gemeint war. Sprich: Die Antwort von Blümel, Menasse zu unterstellen, nationalsozialistische Ideen zu verbreiten, ist nicht nur absurd, sie ist infam.
Das Geschäftsmodell der türkisen ÖVP beruht auf blauen Praktiken. „Falter“-Herausgeber Armin Thurnher erinnert daran, dass sich der Sozialdemokrat Rudolf Edlinger einst den Vorwurf von Freiheitlichen einhandelte, Wiederbetätigung zu betreiben, nachdem er ihnen empört über eine nazifreundliche Kundgebung höhnisch „Heil Hitler!“ entgegengerufen habe. Das entspricht genau dem Muster, nach dem Blümel 2020 vorgeht.
Die neue Volkspartei will nicht anders: Sie hat den „Wählermarkt“ studiert und ist zum Schluss gekommen, dass es zu mühsam ist, ganz bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse anzustreben und Überzeugungsarbeit zu leisten; sie hat festgestellt, dass es eine Mehrheit rechts der Mitte gibt, die man einfach nur bedienen muss, um Wahlen zu gewinnen. Also ist es zum Beispiel auch so zynisch, wenn sie anfängt, die Nicht-Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria sachlich begründen zu wollen. Hier geht es schlicht um Stimmungsmache. Und Punkt.
Teile der schwarzen ÖVP leiden darunter. Siehe Kommunalwahlergebnisse in Vorarlberg: Hier sind im September summa summarum eher bürgerlich-liberale Menschen zur Urne geschritten und haben zu mehreren Überraschungen beigetragen. Konkret: Die Grünen haben erstmals einen Bürgermeister gewonnen. Ausgerechnet Sozialdemokraten, die sich selbst schon als Zwerge dargestellt haben aufgrund ihrer Kleinheit, haben das Bürgermeister-Amt der Landeshauptstadt Bregenz sowie der Nachbargemeinde Hard gewonnen. In Bludenz sind sie relativ knapp daran herangekommen. Verloren haben Schwarze. Natürlich: Überall gibt es Besonderheiten, die sehr viel erklären – aber nicht alles.
These: Das zwei Firmen-Modell, da schwarze, dort türkise ÖVP, gerät unter Druck. In Vorarlberg haben zuletzt mehrere Gemeindevertreter der Partei zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria gefordert. Und zwar sehr laut und deutlich. Ihr Landesobmann, Landeshauptmann Markus Wallner, hat jedoch wieder einmal versucht, sich in einem solchen Konflikt mit den Türkisen bzw. Sebastian Kurz durchzuwinden. Man sei bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn der Bund das beschließe, sagte er sinngemäß. Haltung war das keine. Sondern ein Beitrag für nicht wenige Wähler, zu Roten oder Grünen abzuwandern. Dort finden sie die Haltung, die sie wollen, viel eher.
Das ist ein Muster, das es wohl auch bei der Wiener Gemeinderatswahl am 11. Oktober wieder geben wird: Die ÖVP wird rechts der Mitte zulegen und in der Mitte verlieren. Das war schon bei der Nationalratswahl so: Ausgerechnet 2019, als die Partei bundesweit mit Sebastian Kurz groß triumphierte, verlor sie bezeichnenderweise in einst eher schwarzen Bezirken wie Währing und der Josfestadt; davon profitiert haben in diesem Fall Grüne und Neos.
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