ANALYSE. Bei den jüngsten Wahlen haben neben Türkisen auch Grüne und Neos verloren. Das sagt was: Eine kritische Masse erwartet sich nichts mehr von Politik.
Dass die ÖVP von einer krachenden Niederlage zur nächsten rennt, ist erklärbar. Sowohl in Salzburg als auch in Innsbruck hat es „Vor-Ort-Gründe“ gegeben. Dazu kommt jedoch eine grundsätzliche Krise einer Partei, die nach den Sebastian Kurz-Jahren und in Zeiten multipler Krisen nicht zu sich und schon gar nicht mehr zu einer Wählermasse findet.
Wie aber kann es sein, dass weder Grüne noch Neos davon profitieren? Beide haben in den Landeshauptstädten ebenfalls Stimmenverluste erlitten. Die Grünen mögen sich trösten, dass es „ihr“ Georg Willi in Tirol wenigstens in die Stichwahl um das Bürgermeister-Amt geschafft hat. Sollte er das Amt jedoch verlieren, wird es kritisch für sie.
In Vorarlberg wird die letzte grüne Regierungsbeteiligung auf Landesebene nach der Landtagswahl im Herbst eher weg sein. Es sei denn, die ÖVP lässt sich auf ein türkis-grün-pinkes Bündnis ein. Wie schon in Niederösterreich und in Salzburg könnte sie sich aber auch mit nur einem Partner zusammentun; der FPÖ.
Was bleibt den Grünen dann? Was nach der Nationalratswahl auf Bundesebene passiert, ist nicht absehbar. Die Aussichten auf die Wieber Gemeinderatswahl im kommenden Jahr sind katastrophal für sie: Eine „Unique Research“-Erhebung vom Herbst, zu der vertrauensbildenderweise auch Rohdaten veröffentlicht wurden, sah sie hinter der Bierpartei gemeinsam mit Neos bei acht Prozent. Gegenüber der letzten Wahl hätte dies einem Minus von fast sieben Prozentpunkten entsprochen. Bei einer Bürgermeister:in-Direktwahl wäre ihre Vertreterin Judith Pühringer laut „Unique Research“ nun auf ein Prozent gekommen. Ja, auf ein Prozent.
Ohne Städte sind die Grünen erledigt. In den zehn größten war ihr Stimmenanteil bei der letzten Nationalratswahl zwei Mal größer als im übrigen Österreich.
Natürlich: Wie die ÖVP bekommen auch sie in Regierungsverantwortung die vielen Krisen zu spüren. Abgesehen davon können sie Erwartungen an der Seite der Volkspartei nicht gerecht werden. Es geht jedoch um mehr.
Die Grünen werden bei weitem nicht nur für Klimaschutz gewählt; die Neos bei weitem nicht nur für mehr Freiheit und weniger Staat. Wichtiger für beide sind Stimmungslagen. Bei unterschiedlichen Zugängen war in den vergangenen Jahren beispielsweise relevant für sie, für eine andere Politik zu stehen. Danach hat es eine Sehnsucht gegeben.
Neos-Gründer Matthias Strolz hat ebenso wie Grünen-Chef Werner Kogler nach dem Ausscheiden seiner Partei aus dem Nationalrat 2017 den Typ verkörpert, der die Ärmel raufkrempelt und sich bereit erklärt, Veränderungen in Angriff zu nehmen; nicht destruktiv wie die FPÖ, sondern konstruktiv.
2024 wäre der Bedarf dafür größer denn je, bemüht sich zumindest Strolz-Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger weiter darum, ist es verhängnisvollerweise aber weniger gefragt. Bei der kommenden EU-Wahl müsste Neos nach überholten Gesetzmäßigkeiten abräumen, ja 20 Prozent oder mehr zusammenbringen: Die ÖVP mag nicht mehr Europapartei sein, die Grünen beschränken sich mit Lena Schilling auf Klimaschutz, die FPÖ ist gegen die EU. Neos hat eine Monopolstellung, wird am ehesten der Tatsache gerecht, dass es im Lichte des Ukraine-Krieges und des verbreiteten Rechtspopulismus darum geht, Europa zu retten. Aber interessiert das 20 Prozent oder mehr? Eher viel weniger.
2024 ist ein Punkt erreicht, an dem sich eine kritische Masse gar nichts erwartet von Politik. ÖVP und SPÖ sind ein bisschen abgesichert, können dank ihrer Teilorganisationen kaum unter 20 Prozent abstürzen. Die FPÖ gewinnt mit dem Angebot, mit der Abrissbirne aufzufahren, bei einer solchen Stimmungslage erst recht. Daneben legen bezeichnenderweise nicht Grüne oder Neos, sondern Kommunisten zu, die – wie Elke Kahr in Graz und Kay-Michael Dankl in Salzburg – den Fokus auf praktische Sozialarbeit legen sowie eine Bierpartei, die einfach nicht Politik macht; beide sind nicht trotzdem, sondern gerade deswegen gefragt.
Schlimmer für Grüne und Neos: Wählerstromanalysen von Foresight (ehemals SORA) und dem Mathematiker Erich Neuwirth legen den Schluss nahe, dass gerade sie in Salzburg sehr viele Stimmen an die Kommunisten verloren haben und dass bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 gerade auch viele Anhänger von ihnen zu Dominik Wlazny (Bierpartei) gelaufen sind.