ANALYSE. Die Regierung plant ein Kopftuchverbot für bis 14-jährige Schülerinnen. Ob das hält, ist fraglich – vor allem auch die ÖVP riskiert damit viel; rein rechtlich.
Vielleicht wird sich auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) anhören müssen, dass er „authentisch“ entscheiden solle; wie es die ÖVP im Zusammenhang mit Abschiebungen seit geraumer Zeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verlangt. Im Falle des VfGH könnte es dann dazu kommen, wenn er das geplante Kopftuchverbot für Schülerinnen einmal mehr kippen sollte.
Bis er sich einem solchen Verbot widmen könnte, wird aber noch viel Zeit vergehen. Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) mag im deutschen Boulevardmedium bild.de schon verkünden, „alle Mädchen, bis sie 14 Jahre alt werden, dürfen kein Kopftuch mehr an Schulen, öffentlichen wie privaten, tragen“, ja Deutschen wie schon ihr Vorvorgänger Sebastian Kurz (ÖVP) Tipps geben, wie man hart durchgreife, noch ist aber nichts beschlossen.
Es gibt einen Begutachtungsentwurf und einen Ministerratsvortrag dazu. Titel: „Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen und Verhinderung ehrkultureller Verhaltenspflichten durch u.a. Kopftuchverbot an Schulen.“ Im Inhalt heißt es: „Besonders junge Mädchen in patriarchal geprägten, oftmals muslimischen Familien befinden sich häufig in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und den Erwartungen ihres sozialen oder kulturellen Umfelds.“
Was ein neuer Zugang ist („Selbstbestimmung“), aber auf dasselbe hinausläuft wie beim Kopftuchverbot für Volksschulmädchen, das der Verfassungsgerichtshof im Dezember 2020 aufgehoben hat: Es bleibt ein religiöser Kontext, es geht um Muslime bzw. den Islam.
Das ist insofern ein Problem, als es hier große Hürden gibt, auf die der VfGH 2020 hingewiesen hat: „Der Gleichheitsgrundsatz begründet in Verbindung mit dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates.“ Im Schulwesen sei der Gesetzgeber angehalten, dem zu entsprechen. Durch das Kopftuchverbot greife er jedoch eine spezifische Form einer religiös oder weltanschaulich konnotierten Bekleidung heraus, während er andere religiös oder weltanschaulich konnotiere Bekleidungsgewohnheiten nicht verbiete.
Außerdem hielt der VfGH fest, dass es verschiedene Gründe geben könne, ein islamisches Kopftuch zu tragen. Salopp formuliert: Solche, die als gemeinhin gut, aber auch solche, die als schlecht gelten. Bloß: Gerade bei Fragen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit sei es dem Höchstgericht verwehrt, „sich bei mehreren Möglichkeiten der Deutung eines religiösen oder weltanschaulichen Symbols eine bestimmte Deutung zu eigen zu machen und diese seiner grundrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhandenseins solcher Symbole in staatlichen Bildungseinrichtungen zugrunde zu legen“.
Insofern erscheint fraglich, ob die Regierung mit der Erzählung durchkommt, dass es um Selbstbestimmung gehe. Indirekt also behauptet wird, das Kopftuch stehe für eine Bevormundung: Warum soll sie im Unterschied zum VfGH eine solche Deutung vornehmen dürfen? Warum soll das Höchstgericht von seiner bisherigen Linie abweichen?
Der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages hat in einer Ausarbeitung zum Thema „Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Kopftuchverbots für Schülerinnen“ ebenfalls Zweifel angemeldet, dass ein solches möglich ist. Beziehungsweise nur unter Umständen, wenn es sich unter anderem „allgemein auf das Tragen religiöser Symbole bezöge, ohne bestimmte Religionen herauszugreifen“. Sprich: Auch ein Kreuz etwa dürfte nicht offen getragen werden.
Das zeigt, dass die ÖVP, die in der Regierung besonders Druck darauf macht, rein rechtlich viel riskiert. Politisch mag es ihr egal sein. Allein schon die Ankündigung des Verbots ermöglicht es Plakolm etwa, bei bild.de, aber auch national groß aufzuzeigen und sich zu profilieren. Im Übrigen zeigt die Partei schon im Umgang mit dem EGMR, dass man das auch dann tun kann, wenn ein Gericht – dem eigenen Empfinden nach – nicht „authentisch“ urteilt.