BERICHT. Weil die Politik einen etwas anderen Eindruck vermittelt: Laut Landesgericht Innsbruck hat das Opfer nicht viel falsch gemacht. Und überhaupt.
Wieder einmal verselbstständigt sich eine öffentliche Debatte und verleitet die Politik zu Reaktionen, die mit dem ursprünglichen Anlassfall nicht viel zu tun haben. Nach dem Kuh-Urteil kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einen Verhaltenskodex an, „wie sich Gäste verhalten sollen“. Nachsatz: „Wenn sie den Kodex nicht befolgen, hat dies für sie im Schadensfall rechtlich gesehen negative Konsequenzen.“
Um nicht missverstanden zu werden: Ein solcher Kodex kann nicht schaden. Im Gegenteil. Wer im Alltag mit Kühen nichts zu tun hat und beim Wandern in den Bergen auf eine Herde stößt, kann ein paar Tipps sehr gut gebrauchen. Der Punkt ist jedoch dieser: Aus der öffentlichen Debatte ergibt sich im Zusammenhang mit dem Kuh-Urteil der Eindruck, eine Touristin sei mit ihrem Hund auf Almwiesen vorgedrungen, die Kühen vorbehalten sind und habe diese provoziert. Ganz offensichtlich ist das jedoch falsch. Ich habe (…) selten so wenig Mitgefühl mit einem Unfallopfer wahrgenommen wie bei jener Touristin, die vor den Augen ihrer Familie von einer Kuhherde totgetrampelt wurde“, schreibt der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger in einem Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten und empfiehlt, die Presseaussendung zu lesen, die das Landesgericht Innsbruck zum Urteil herausgegeben hat.
Ein guter Tipp. Da erfährt man zunächst, dass sich der Unfall mit der Mutterkuhherde auf einer öffentlichen Straße in einem Weidegebiet ereignet hat, „welche sowohl von Wanderern, Kindern, Radfahrern und auch Fahrzeugen stark frequentiert wird“. Pikant: Im betreffenden Pinnistal wird Touristen sogar ein Shuttlebus angeboten, wie eine schlichte Google-Recherche zeigt. Sprich: Sie werden ins Almgebiet geholt. Wie auch immer: In unmittelbarer Nähe des Unfallortes befindet sich laut Landesgericht „eine Gastwirtschaft mit mehr als 220 Sitzplätzen, welche im Sommer regelmäßig sehr gut besucht ist“. So viel vorweg.
„Der Hund wurde an der der Herde abgewandten Seite geführt.“ (Landesgericht Innsbruck)
Jetzt zum Unglück: Am frühen Nachmittag des 28. Juli 2014 war eine Familie mit vier Kindern und zwei angeleinten Hunden auf dem Pinnisweg unterwegs; das habe die Kuhherte stark beunruhigt: „Ein Mitglied der Gruppe wurde sogar von einer Kuh angegriffen.“ Wenig später „ging die Verunfallte mit ihrem Hund an der Pinnisalm Gastwirtschaft und der Kuhherde vorbei. Die (gesamt) rund 2,5 m langen Leine hatte sie um ihre Hüfte geschlungen und mit einem Karabiner fixiert. Der Hund wurde an der der Herde abgewandten Seite geführt. Als sie die Herde passierte, verhielt sich diese noch unauffällig. Auch ihr Hund reagierte nicht auf die Herde, sondern ging ruhig weiter. Unmittelbar danach wurden die Tiere jedoch unruhig; einige Tiere verfolgten die Frau, dann kreisten alle Tiere sie von hinten kommend ein, wovon die Wanderin zunächst nichts bemerkte. Gleichzeitig mit dem Bemerken der Tiere wurde die Frau von den Tieren mit den Hörnern geschubst, zu Boden gestoßen und blieb letztlich ohne Abwehrmöglichkeit weiteren Angriffen ausgesetzt; die dabei erlittenen Verletzungen waren tödlich. Der Hund hatte sich befreien können.“
Zur Frage der Verantwortlichkeit stellt das Landesgericht an den Viehhalter gerichtet fest: „An einem neuralgischen Punkt wie dem Unfallort sind Abzäunungen zum Schutz des höchsten Gutes, des menschlichen Lebens, notwendig und aufgrund des geringen Aufwandes auch zumutbar.“
„Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes war aufgrund des sonstigen Verhaltens der Verunfallten sehr gering.“ (Landesgericht)
Die verunfallte Frau selbst wiederum hatte laut Landesgericht „die Hundeleine mit einem Karabiner um die Hüfte fixiert. Als Tierhalterin hätte sie aber wissen müssen, dass Mutterkühe aggressiv auf Hunde reagieren können, weshalb es sorglos war, den Hund so zu fixieren, dass er nicht sofort losgelassen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren Angriffes war aufgrund des sonstigen Verhaltens der Verunfallten aber sehr gering; der Vorfall hätte sich nicht ereignet, wenn die in diesem Jahr besonders aggressive Herde nicht schon zuvor in Aufregung versetzt worden wäre, was der Verunfallten aber nicht bekannt sein konnte. Ihr Verschuldensanteil ist daher vernachlässigbar, sodass es bei der alleinigen Haftung des Beklagten (Bauern; Anm.) bleibt.“
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