ANALYSE. ÖVP und FPÖ sind sich einig, dass Beschuldigtenrechte ausgeweitet werden sollen. Was vernünftig klingt, ist in Wirklichkeit brisant.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat sich wieder einmal nützlich gemacht. Gemeinsam mit dem Strafrechtsexperten Peter Lewisch, der nicht zuletzt durch ein Gutachten bekannt geworden ist, das Sebastian Kurz (ÖVP) entlasten soll, hat er zu einem Symposium zu „Aktuellen Fragen einer StPO-Reform“ ins Hohe Haus geladen. Der Bericht der Parlamentskorrespondenz lässt darauf schließen, dass es dabei vor allem darum ging: Stimmung für eine Ausweitung von Beschuldigtenrechten zu machen. Was vernünftig klingt, ist in einem größeren Zusammenhang brisant.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte vor mehr als einem halbem Jahr genug von politischen Affären. In einer Rede forderte er eine Generalsanierung, womit er konsequente Korruptionsbekämpfung meinte. Bisher ist er nicht einmal ignoriert worden. Inseratenkorruption ist weiterhin möglich, illegale Parteienfinanzierung nach wie vor kein Straftatbestand und so weiter und so fort. Das Amtsgeheimnis soll demnächst zwar durch eine Informationsfreiheit ersetzt werden, vom Ansatz her ist jedoch zu befürchten, dass sich wenig ändert: Aus Geheimhaltung mit Ausnahmen droht Transparenz mit weitreichenden Einschränkungen zu werden. Zynisch formuliert bleiben die Umstände für Korruption alles in allem sehr attraktiv.
Gerade weil ÖVP und FPÖ im Zentrum von Affären stehen, ist es bemerkenswert, dass sie kein Interesse daran zeigen, das zu ändern. Im Übrigen ist es bedrohlich, weil sie die nächste Regierung bilden könnten und schon jetzt signalisieren, was ihnen wichtig ist: Korruptionsschutz. Beziehungsweise ausschließlich die Ausweitung von Beschuldigtenrechten in einer Art und Weise, dass noch weniger öffentlich bekannt werden kann.
ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker forderte auf dem Symposium, die Strafprozessordnung an aktuelle Entwicklungen wie die rasante Digitalisierung anzupassen: Briefe dürfe man „nicht aufschlitzen“, Chats aber schon lesen. Zudem führe die Veröffentlichung von Teilen von Ermittlungsakten regelmäßig zu medialen Vorverurteilungen. Vor allem, was in den sozialen Medien abgehe, sei unerträglich. Auch werde immer wieder „Politik mit Anzeigen gemacht“.
Das gehört laut Steinacker geändert: Sie will unter anderem über Auswertungsbeschränkungen beschlagnahmter Handys und ein Zitierverbot aus Ermittlungsakten bis zur öffentlichen Hauptverhandlung diskutieren. Auch kann sie sich eine Höchstdauer von Ermittlungsverfahren – bei Wiederaufnahmemöglichkeit im Fall neuer Fakten – vorstellen.
FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan pflichtete Steinacker – im Unterschied zu Sozialdemokraten, Neos und Grünen – in wesentlichen Punkten bei: Mehr als die Hälfte der Beschuldigten werde bei Strafverfahren nicht schuldig gesprochen. Häufig komme es zu Vorverurteilungen und einer Offenlegung des Privatlebens, argumentierte er: Man werde „an den Pranger gestellt“.
Tatsächlich? In Österreich mangelt es zunächst an Transparenz und entschlossener Korruptionsbekämpfung. Im Übrigen geht es hier nicht nur um strafrechtliche, sondern auch um politische Dimensionen. Ein Beispiel: Sebastian Kurz musste vor eineinhalb Jahren zurücktreten, weil er politische Grenzen überschritten hat. In den relevanten, veröffentlichten Chats von ihm und Leuten aus seinem weiteren Umfeld ging es nicht um Privates, sondern um Machtpolitisches. Etwa darum, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben oder eine Ausweitung der Nachmittagsbetreuung für Kinder zu verhindern, um dem damaligen Koalitionspartner SPÖ zu schaden. Es war wichtig, dass das bekannt wurde. Es zeigte nicht zuletzt auch, dass Kurz nicht nur so ist, wie er sich in der Öffentlichkeit gerne darstellt. Dadurch wurde Wähler:innentäuschung abgedreht.