Sorgt die Regierung für mehr Kriminalität?

BERICHT. Vertreter der Justiz kritisieren die geplante Streichung der Mindestsicherung für Verurteilte besonders heftig. Experte: Rückfall vor die 1970er Jahre.

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BERICHT. Vertreter der Justiz kritisieren die geplante Streichung der Mindestsicherung für Verurteilte besonders heftig. Experte: Rückfall vor die 1970er Jahre.

Wer zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und mehr verurteilt wird, soll künftig für einen der Freiheitsstrafe entsprechenden Zeitraum von Leistungen der Mindestsicherung ausgeschlossen werden. Das steht im Begutachtungsentwurf der Bundesregierung. Damit solle auch für den Fall einer bedingten Entlassung („Nachsicht“) „eine adäquate öffentliche Sanktionswirkung“ gewährleistet werden, heißt es in den Erläuterungen. Bemerkenswert: Auch Vertreter der Justiz kritisieren das heftig. Sie warnen davor, dass damit „geradezu die Voraussetzungen für ein Ansteigen der Kriminalität bzw. den Rückfall von Verurteilten“ geschaffen werden.

„Dieser Gesetzesentwurf schafft geradezu die Voraussetzungen für ein Ansteigen der Kriminalität.“ (Richtervereinigung) 

„Straftäter, die temporär von den Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen werden sollen, werden in aller Regel nicht in einer organisierten Unterkunft betreut, sondern haben eine individuelle Wohnmöglichkeit, sodass sie lediglich Anspruch auf die genannten monatlichen Höchstbeträge von EUR 350,– bis 360,– hätten. Dieser Beitrag reicht für eine (noch so bescheidene) Lebensführung nicht aus. Die Betroffenen sind somit stark gefährdet, in Armut und Obdachlosigkeit abzugleiten. Genau dies sind aber wesentliche Faktoren bei der Entstehung von Kriminalität“, warnt die Richtervereinigung in einer Stellungnahme. Nachsatz: „Dieser Gesetzesentwurf schafft geradezu die Voraussetzungen für ein Ansteigen der Kriminalität bzw. den Rückfall von Verurteilten.“

Der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien, Gerhard Jelink, schließt sich dem in einer eigenen Stellungnahme ausdrücklich an: „Die davon betroffenen Personen geraten in eine Lage der Perspektivlosigkeit, womit sich das Gefährdungspotential, neuerlich in die Kriminalität abzugleiten, signifikant erhöht. In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, dass die Zahl der Strafverfahren und damit auch die Häftlingszahlen zunehmen, was Mehrkosten auf der Seite des Justizressorts erzeugen würde; allfälligen Einsparungen im Sozialbereich würden dadurch relativiert werden.“

„Die geplante Bestimmung widerspricht den Grundsätzen seit der Großen Strafrechtsreform.“ 

Das Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie sieht einen massiven Rückfall der Strafrechtspolitik: „Die geplante Bestimmung widerspricht den Grundsätzen der politisch im Allgemeinen konsensual verabschiedeten Reformen seit der Großen Strafrechtsreform (seit den 1970er Jahren; Anm.). Mit dieser wurden im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen strafrechtliche Reaktionen so differenziert, dass vor der unbedingten und zu vollziehenden Strafe als letztem Mittel andere Interventionen (bedingte Strafen und Maßnahmen) ausgebaut wurden. Strafverschärfungen und Nebenstrafen wurden überwiegend abgeschafft. Es wurde festgestellt, dass Ausspruch und Verbüßung von Sanktionen ausreichend Strafe sind und aus gutem Grund mit keiner zusätzlichen Schlechterstellung und Einschränkung von (Menschen-)Rechten verbunden werden sollen.“

Die geplanten Änderungen würden laut dem Institut zu einer ökonomischen Schlechterstellung von Personen führen, die zu Freiheitsstrafen und Bewährungsstrafen verurteilt wurden: „Dies ist vor allem auch aus rückfallpräventiver Sicht abzulehnen, da eine prekäre sozioökonomische Situation einen zentralen Risikofaktor für Kriminalität darstellt.“

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