ANALYSE. Die offene Auseinandersetzung, die die Bundesregierung zu sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen angekündigt hat, ist überfällig.
Im Hinblick auf das geplante Treffen von Donald Trump (USA) und Wladimir Putin (Russland) an diesem Freitag in Alaska, das für die Zukunft der Ukraine sowie Europas relevant ist, stellt sich die Frage: Und Österreich?
Wo steht Österreich in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik? Es sei „Schlwainertum“, dass es nicht der Nato angehöre, hat der polnische Ex-Präsident Lech Walesa in einem „Standard“-Interview vor wenigen Tagen erklärt. Begründung: „Die Welt gehört uns allen. Und die Verantwortung dafür liegt auch bei jedem von uns. Darum geht’s bei der Nato.“
Man kann das mit dem „Schlawinertum“ auch dann so stehen lassen, wenn man eine Mitgliedschaft bei der Nato aufgrund der noch immer in der Verfassung verankerten Neutralität ablehnt: Es liegt schon ein solches vor, weil man sich hierzulande so gar nicht mit Sicherheit und Verteidigung auseinandersetzt. So als wär‘ nix – bzw. weil man eben noch immer davon ausgeht, dass das im Falle des Falles andere Staaten für Österreich übernehmen würden oder hofft, dass man, weil neutral, nie angegriffen wird.
Für die Regierungsparteien mag es schwierig sein; jedenfalls für ÖVP und SPÖ, die im Unterschied zu den Neos (erstens) zum Teil nicht einmal schlüssige Antworten haben (zum Beispiel, wie man der Beistandsverpflichtung innerhalb der EU entsprechen sollte) sowie (zweitens) grundsätzlich schon mit schwindendem Zuspruch konfrontiert sind, sodass sie den Leuten nicht mit noch mehr Unangenehmem kommen wollen.
Sicherheit und Verteidigung ist aufgrund der Bedrohungslagen etwas Unangenehmes. Eine Auseinandersetzung damit ist umso mehr Voraussetzung dafür, dass sich ein Verständnis für bestimmte Entscheidungen entwickeln kann; auch wenn’s wehtut.
Es ist nicht so, dass man das in der Regierung gar nicht sieht. Im Gegenteil: Laut einem Ministerratsvortrag zur sicherheits- und verteidigungspolitischen Ausrichtung soll die Bevölkerung in entsprechende Fragen „eingebunden“ werden. Ja: „Bürgerversammlungen in den Bundesländern sollen diesen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen. Darüber hinaus müssen Wissenschaft und die Wirtschaft stärker in den Diskurs zu außen- und sicherheitspolitischen Themen einbezogen werden.“ Auch in den Schulen soll angesetzt werden. Dabei gehe es darum, in der Gesellschaft ein Problembewusstsein zu entwickeln.
Der Ministerratsvortrag stammt vom April. Wahrnehmbar ist bisher nichts davon. Die Zeit drängt jedoch. Beispiel: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hat vor dem Sommer eine Expertenkommission beauftragt, bis Jahresende Vorschläge für eine Reform des Wehrdienstes zu entwickeln. Wahrscheinlich ist, dass es auf eine Verlängerung hinauslaufen wird: Woher aber soll eine Bereitschaft in weiten Teilen der Wählerschaft kommen, das hinzunehmen, geschweige denn zu unterstützen, wenn im Hinblick darauf so gar nichts läuft?