ANALYSE. Zu lange sind Pflichten verschwiegen worden, die damit verbunden sind, zu sehr Konsequenzen vernebelt worden, die mit der europäischen Integration einhergehen.
FPÖ-Chef Herbert Kickl hat in seiner Parteitagsrede in Salzburg allen Ernstes gefordert, Österreich zu einer „Insel der Seligen“ zu machen. Es scheint überhaupt eine seiner neuen Botschaften zu sein. In einer Aussendung hat er sie gerade wiederholt. Darüber lachen sollte man nicht: Es dürfte einer Sehnsucht sehr vieler Menschen entsprechen, sich gerade wegen der Entwicklungen in Europa auf sich selbst zurückzuziehen und die Augen zu verschließen; sich einzubilden, dass dann alles gut sei.
Kickl hat im Zusammenhang mit der Neutralität davon gesprochen. Das ist wichtig: Es gibt in Österreich einen „Neutralitäts-Pazifismus“, wie der Völkerrechtler Ralph Janik feststellt. Es handelt sich um einen Pazifismus, der darüber hinwegtäuscht, wozu das Neutralitätsgesetz rechtlich verpflichtet: Nicht, sich als Vermittler oder Brückenbauer anzubieten; das kann man, wenn man will – und es ist grundsätzlich gut, aber Neutralitätspolitik, also etwas anderes.
Die rechtliche Dimension ist. dass sich Österreich mit dem Gesetz verpflichtet hat, die Neutralität „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechtzuerhalten und zu verteidigen.“ Zu verteidigen heißt, dass im Falle eines militärischen Angriffs militärisch Widerstand geleistet wird. Das bedeutet, dass man ein defensives Heer braucht, dass einsatzfähig und den Bedrohungslagen entsprechend ausgerüstet ist. Auch wenn es einem nicht gefällt.
Kein Heer zu haben, ginge nicht: Die Neutralität könnte dann nicht verteidigt werden, und Drittstaaten müssten davon ausgehen, dass Österreich leichte Beute für einen Aggressor wäre, womit die Neutralität von heute auf morgen bedeutungslos werden würde. Sprich: Es wäre kein Verlass darauf.
Solche Dinge gehören in Zeiten wie diesen diskutiert, damit sie ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit übergehen. Auch wenn es sich um eine theoretische Auseinandersetzung handeln würde: Sie ist in der Vergangenheit unterlassen worden und umso schlimmer ist, was folgt(e).
Im Wissen, dass es eine unpopuläre Sache ist, hat man im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft nicht beim Neutralitätsgesetz eine weitreichende Ergänzung vorgenommen, sondern abseits davon durch den heutigen Verfassungsartikel 23j; als wollte man es gegenüber der Öffentlichkeit verbergen: Laut Artikel 23j kann Österreich uneingeschränkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU teilnehmen. Ja, auch militärischer Beistand ist möglich, wenn ein anderes Mitgliedsland angegriffen wird. Es wäre keine Neutralitätsverletzung, wie auch Janik in einem „Presse“-Gastkommentar einmal ausgeführt hat: „Österreich dürfte militärischen Beistand leisten, sei es durch Waffenlieferungen oder die Entsendung eigener Soldaten.“
Geschieben hat Janik das, nachdem selbst Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) behauptete, dass Österreich keinen militärischen Beistand leisten dürfe. Was nicht korrekt ist und auf zweierlei zurückzuführen gewesen sein könnte: Sie wusste nicht, was ist; oder sie wollte den Leuten weiterhin etwas vormachen.
Schlimm wäre beides: Auch wenn es Österreich im Ernstfall freistehen würde, zu entscheiden, wie es Beistand leistet, steht es dafür, dass nicht klar ausgesprochen wird, was gehen würde. Geschweige denn, was europäische Solidarität heißt und welche Rolle man dabei einzunehmen gedenkt.