Schindluder mit der Neutralität treiben

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ANALYSE. Kickl und Co. bleiben die lautesten, aber auch falschesten Anhänger. Das ist zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Nahostkrieg deutlich geworden.

Nach dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Mitte Juni in Österreich sah sich FPÖ-Chef Herbert Kickl mit seinen Leuten zu einer Dringlichen Anfrage an den Kanzler gezwungen: Es sei verantwortungslos, zum Zeitpunkt einer „totalen Eskalation“ den obersten Vertreter einer Kriegspartei zu empfangen. Damit gehe man ein sehr großes sicherheitspolitisches Risiko ein und missachte die Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität, so die Argumentation.

Die Verpflichtung, die mit der Neutralität einhergeht, ist im entsprechenden Verfassungsgesetz dargelegt: Erstens, Österreich wird die Neutralität „mit allen ihm zu Gebote sehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen“. Zweitens, Österreich wird nie militärischen Bündnissen beitreten und auch nie die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete zulassen. Punkt.

Was Kickl und Co. meinen, ist darüber hinausgehende Neutralitätspolitik, zu der es keine Verpflichtung gibt. Genauer: Sie meinen das, was sie unter Neutralitätspolitik verstehen. Zum Beispiel die Ukraine, also das Opfer des Angriffskriegs, der von Wladimir Putin betrieben wird, ohne jegliches Zeichen der Solidarität zugrunde gehen lassen. Indirekt also Putin stärken.

Wäre Kickl heute Kanzler bzw. hätte sich die ÖVP auf eine Zusammenarbeit mit ihm eingelassen heuer im Februar, und hätte sie akzeptiert, was er unter „aktiver Neutralitätspolitik“ versteht, wäre zum Beispiel das gekommen, was im Verhandlungsprotokoll gestanden ist: „Prüfung der bestehenden Russlandsanktionen auf ihre Auswirkungen auf den österreichischen Wirtschaftsstandort und Ausverhandeln von österreichspezifischen Ausnahmen bei nächstmöglicher Gelegenheit.“

Man hätte Putin also nicht nur die Ukraine überlassen, sondern auch geschaut, dass zwischen ihm und Österreich möglichst bald wieder sogenannte Normalität einkehrt.

Vor diesem Hintergrund erübrigt sich jedes freiheitliche Gerede davon, dass man zwischen den Kriegsparteien vermitteln sollte: Abgesehen davon, dass Putin das gar nicht will, wäre Österreich in dieser Rolle inakzeptabel für die Ukraine, weil es so russlandfreundlich ist.

Bisweilen kippt Kickl auch ganz ins Zynische: Bei der jüngsten Nationalratsdebatte hatte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) erklärt, Neutralität heiße nicht, dass man zwischen Aggressor und Opfer nicht mehr unterscheiden kann. Zwischenruf Kickl: „Ja, erklären Sie uns das jetzt einmal mit Israel und dem Iran!“ Zwischenruf Kickl-Vertrauter Christian Hafenecker: „Kommt der iranische Präsident auch zu Ihnen?“

Hier wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit den Angriffen auf den Iran verglichen, die Israel gestartet hat. Als wären die beiden Kriege so mir nichts, dir nichts vergleichbar miteinander: Es unterstreicht, wie falsch dieses Neutralitätsgerede ist.

Es wäre gut, wenn man sich als Vermittler nützlich machen könnte. Auch beim Nahost-Krieg hätte das jedoch mit klaren Standpunkten verbunden sein müssen. In diesem Fall insbesondere damit, dass der Iran, dessen Staatsdoktrin die Zerstörung des jüdischen Staates ist, zu keiner Atombombe kommen darf. Das ist das eine.

Das andere: Beim Nahost-Krieg hat sich einer Vermittlerrolle für Österreich so wenig angeboten, wie sie es etwa für die ebenfalls neutrale Schweiz getan hat. Eingenommen hat diese Rolle ein Land, das vor allem auch für Donald Trump relevant ist: Das Emirat Katar, das sowohl zum Iran als auch zu den USA, einem militärischen Verbündeten, gute Beziehungen unterhält.

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