Hochpolitisches Sicherheitsvakuum

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ANALYSE. Trotz Corona muss man sich mehr mit BVT-Affären beschäftigen. Wobei das Schlimme ist, dass ÖVP und FPÖ befangen sowie die Grünen gefangen sind. Das erschwert Notwendiges.

Wie verletzbar Österreich ist, hat man im vergangenen Jahr gesehen. Es braucht nicht viel. Der Attentäter von Wien hätte aufgehalten werden können. Slowakische Geheimdienstler hatten ihre Kollegen in Wien gewarnt. Vergeblich. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) konnte sich hinterher aus der politischen Verantwortung herausreden, indem er das Problem so darstellte, dass sein Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zerstört hatte und er jetzt erst zum Wiederaufbau schreiten muss.

Dieser Tage ist das BVT mit ganz anderen Geschichten erneut in den Schlagzeilen: Ehemalige Mitarbeiter sollen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek „zur Flucht verholfen haben und für das Unternehmen nebenberuflich tätig gewesen sein“, so ORF.AT: „Und – womöglich – unabhängig davon: Ein BVT-Beamter soll einer Spionin Informationen aus der Glücksspielbranche geliefert haben.“

Wenn man all das nur als „Affäre“ bezeichnet, dann muss man wenigstens von einer „Staatsaffäre“ reden. Aus zwei Gründen: Zum einen besteht der Verdacht, dass erstens ein Herzstück des Sicherheitsapparats durch und durch korrupt ist und zweitens, dass dieses Herzstück nicht mehr handlungsfähig ist (siehe Anschlag von Wien); zum anderen ist bei alledem viel zu viel Politik im Spiel.

Direkt wie indirekt: Im Zusammenhang mit der Marsalek-Flucht ist auch ein ehemaliger FPÖ-Abgeordneter festgenommen worden. Das stärkt die Darstellung von Nehammer, wonach es hier um ein blaues Problem geht. Daneben aber ist Nehammer mit seiner Partei ebenfalls befangen.

Der BVT-U-Ausschuss hat in der vergangenen Legislaturperiode mehrere Verstrickungen zwischen Vertretern der Österreichischen Volkspartei und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutzes aufgedeckt. „Datentransfer zwischen ÖVP und Ex-BVT-Spionagechef“, überschrieb der „Kurier“ eine solche. Oder die „Presse“ eine anderen folgendermaßen: „Mehrere Mitarbeiter des BVT waren im Verein „Pro Patria“ tätig, Kassier war mehrere Jahre lang ÖVP-Politiker Gernot Blümel.“

Zu Wirecard gab es ebenfalls persönliche Verbindungen: „Der langjährige Vorstandvorsitzende des deutschen Zahlungsdienstleisters, der Österreicher Markus Braun, wurde einst zum Berater von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Braun ebnete den Weg vom schmuddeligen Bezahldienst zum DAX-Konzern, spendete 70.000 Euro für den ÖVP-Wahlkampf. Dann der plötzliche Fall des Superstars. 1,9 Milliarden Euro im Nirgendwo. Sein Vorstandskollege, der Österreicher Jan Marsalek, kannte wiederum Wolfgang Sobotka. Mit dem früheren ÖVP-Innenminister traf er sich in der österreichischen Botschaft in Moskau“, schreibt Michael Sprenger von der „Tiroler Tageszeitung“ in einem aktuellen Leitartikel, den er mit dringlichen Fragen beendet:  „Was ist da los? Wann vernimmt man den Schrei nach Aufklärung?“

Eine politische Antwort darauf könnte so lauten: Mit FPÖ und ÖVP haben eine Mittel- und eine Großpartei kein Interesse daran. Zumal es hier auch um eine ihrer vermeintlichen Kernkompetenzen geht: Sicherheit. Wenn deutlich werden würde, dass sie hier versagen, wären sie massiv geschwächt. Die Grünen wären einst gut dafür gewesen, Druck aufzubauen. Als Juniorpartnerin der ÖVP lassen sie sich heute jedoch neutralisieren. Bleiben die sehr kleinen Neos sowie die Sozialdemokraten, sie sich wohl nie wirklich als Opposition definieren werden, ja in der Pandemie sogar dabei sind, einen Schulterschluss mit der Regierung einzugehen. Da bleibt unterm Strich zu wenig, kommt ein echtes Sicherheitsvakuum heraus.

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