ANALYSE. Die Bundesregierung arbeitet noch im Geheimen an einer Sicherheitsstrategie, setzt aber schon Schritte, die sich sinnvollerweise erst aus einer solchen ergeben könnten. Das ist weder gut noch vernünftig.
Die geltende Sicherheitsstrategie Österreichs stammt aus einer anderen Zeit. Gleich in der Einleitung heißt es beispielsweise: „Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die sicherheitspolitische Agenda. Daher und aufgrund des gesamteuropäischen Prozesses der Integration und Zusammenarbeit haben die europäischen Staaten erstmals in der Geschichte die Chance auf eine selbstbestimmte, dauerhafte gemeinsame Zukunft in einem Raum des Friedens, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.“
Man könnte weinen. Weil das alles nicht mehr so ist und weil das eben noch immer die geltende Sicherheitsstrategie Österreichs ist. Natürlich ist auch der Bundesregierung klar, wie überholt sie ist. Daher hat sie im April des vergangenen Jahres „eine Weiterentwicklung“ der Strategie angekündigt. Bis Ende 2023 hätte eine solche unter Federführung des Kanzleramts erstellt und präsentiert werden sollen.
Heute ist der 20. Februar 2024 und es liegt noch immer nichts vor. Wie es um den Prozess inhaltlich bestellt ist, ist unbekannt. Er läuft nämlich intransparent. Der Politikwissenschaftler Franz Eder von der Uni Innsbruck bezeichnet das als „Skandal“: „Das müsste offen gemacht werden, weil es dafür einen breiten Konsens braucht.“
Natürlich: Die FPÖ wird man nie dafür gewinnen können, sie wird immer dagegen wettern. Das Thema ist zweitens unpopulär und gerade in einem Superwahljahr nicht unbedingt dazu angetan, Zuspruch zu ernten. Im Übrigen gibt es Tabus wie Neutralität (muss bleiben) und NATO-Beitritt (darf nicht sein). Außerdem ist gerade extrem viel im Fluss. Stichwort Donald Trump und seine Warnung, das transatlantische Verteidigungsbündnis de facto wirkungslos zu machen etc.
Gerade im Hinblick darauf, dass die FPÖ mit Herbert Kickl schon bald eine entscheidende Rolle spielen könnte, wäre es jedoch klug, die „Weiterentwicklung“ der Sicherheitsstrategie möglichst offen durchzuführen. Es könnte helfen, das Problembewusstsein zu schärfen und ein Verständnis für mögliche Handlungsoptionen zu schaffen. Sprich, der Kickl’schen Erzählung entgegenzuwirken, dass man in einer alternativlosen „Festung Österreich“ einfach nur isoliert neutral und somit sicher sein könne.
Auch wenn man sich zunehmend fragen muss, warum es denn überhaupt eine Sicherheitsstrategie brauche. Die Regierung schafft ohnehin schon Fakten. Durch den Beschluss etwa, an „Sky Shield“, dem staatenübergreifenden Raketenabwehrsystem, teilzunehmen; oder durch die Entscheidung, 225 Stück des Radpanzers Pandur Evolution zu kaufen (Kostenpunkt: immerhin 1,8 Milliarden Euro); oder durch die Ablehnung verpflichtender Milizübungen durch Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
Das sind drei verschiedene Themen, die sich erst aus einer Strategie ergeben könnten und die zum Teil dazu angetan sind, für Irritationen zu sorgen: Man kann nicht erwarten, dass Österreicherinnen und Österreich, die Neutralitätsbekenntnisse gewohnt sind, eine Beteiligung an „Sky Shield“ so mir nichts, dir nichts nachvollziehen können. Gut, man kann es als Schritt dahingehend verstehen, dass das kleine Österreich ab sofort bereit ist, militärisch größere Kooperationen mit anderen Ländern einzugehen (sofern das im Rahmen des Neutralitätsgesetzes zulässig ist). Andererseits aber wirken die Radpanzerbestelllungen so, als wollte man sich allein verteidigen können. Andererseits aber trägt die Nicht-Wiedereinführung von Milizübungen dazu bei, dass qualifiziertes Personal dazu fehlen könnte. Zitat Franz-Stefan Gady, „Kleine Zeitung“: „Nur Auffrischungsübungen könnten garantieren, dass im Kriegsfall neue Waffensysteme effizient im Verbund eingesetzt werden.“