Eiertanz um Neutralität

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ANALYSE. Was die EU-Mitgliedschaft bedeutet, ist jahrelang vernebelt worden. Entsprechend schwierig wird es für zwei Ministerinnen, eine Kursänderung durchzusetzen.

Die Neutralität sei im Regierungsprogramm festgeschrieben und definiere klar, dass Österreich nicht in Kriege eingreife, antwortete Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) im Ö1-Journal zu Gast auf die Frage, in welcher Weise man der Beistandsverpflichtung militärisch nachkommen würde. Ein paar Tage zuvor hatte Kanzler Christian Stocker (ÖVP) in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ erklärt, man sei „zur Solidarität verpflichtet, aber zu keiner militärischen Teilnehme. Wir können das auch in anderer Form tun.“

Wirklich? Es ist nicht falsch, entspricht aber einer Darstellung, die vernebelt, und der jetzt auch Teile der Regierung recht Deutliches entgegengesetzt haben. Die Rede ist von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bzw. dem Ministerratsvortrag, den sie zur Österreichischen Sicherheitsstrategie vorgelegt haben.

Zitat: „Mit dem Beitritt zur EU am 1.1.1995 und der vorangegangenen Volksabstimmung, mit der auch eine Änderung der österreichischen Bundesverfassung einherging, hat sich Österreich auch zur vollen Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU einschließlich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) verpflichtet.“ Und: „Mit Art. 23f B-VG (nunmehr Art. 23j B-VG) wurden dafür die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen und dem Neutralitäts-BVG materiell-partiell derogiert.“ Sprich: Es wurde hier außer Kraft gesetzt.

Wobei: Ausdrücklich mit Blick (unter anderem) auf das neutrale Österreich gibt es bei der Beistandspflicht gemäß Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags eine Klausel, die es ermöglicht, im Ernstfall militärisch neutral zu bleiben. Daraus leitet sich ab, dass der Beitrag, den es leistet, nicht militärisch sein muss, wie es auch im Ministerratsvortrag heißt.

Der Beitrag kann aber militärisch sein: Nicht müssen, heißt schließlich nicht, nicht dürfen. Es geht eher um das Wollen. Und diesbezüglich lässt der Ministerratsvortrag wiederum eine Bereitschaft erkennen, die neu ist.

Zitat: „Auf der Grundlage des EU-Vertrags in der Fassung von Lissabon kann Österreich gegebenenfalls auf die Solidarität seiner EU-Partner zählen und seinerseits im Einklang mit der Bundesverfassung Hilfe und Unterstützung leisten. Europäische Solidarität ist keine Einbahnstraße; sie beruht auf Vertrauen und Gegenseitigkeit. Im Regierungsprogramm „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich“ bekennt sich die Bundesregierung zur aktiven Mitarbeit an der Weiterentwicklung der GSVP (Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; Anm.), der kommenden Entwicklung der Europäischen Verteidigungsunion, der Sicherheitspolitik im Rahmen internationaler Organisationen sowie zur Leistung eines militärischen Solidarbeitrags innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens.“

Das schreibt sich leicht. Ob es letzten Endes aber auch politisch durchsetzbar ist? Stand heute schwer. Erstens: Was mit der EU-Mitgliedschaft einhergeht und was das für die Neutralität bedeutet, ist rechtlich zwar klar. Es ist in den vergangenen 30 Jahren aber nie so deutlich ausgesprochen worden, dass es bei einer Mehrheit der Österreicher angekommen ist. Die Vorstellung bei dieser Mehrheit ist wohl eher, dass Österreich einem anderen EU-Land, das angegriffen wird, unter gar keinen Umständen militärisch Beistand leisten kann, ja darf.

Zweitens: Aussagen von Kanzler und Vize lassen darauf schließen, dass in der Regierung selbst erst Klarheit hergestellt werden muss, wie das jetzt ist mit der Neutralität einerseits und einer Nicht-Einbahnstraße in Bezug auf europäische Solidarität andererseits bzw. eben einem militärischen Beitrag Österreichs dazu.

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