Zerreißproben für die Koalition

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ANALYSE. „Das Beste aus beiden Welten“ ist überholt. ÖVP und Grüne sind mit neuen Herausforderungen konfrontiert, bei denen ihre Zugänge unterschiedlicher kaum sein könnten.

„Das Beste aus beiden Welten“ lautete der inoffizielle Titel des Regierungsprogramms, auf das sich ÖVP und Grüne vor etwas mehr als zwei Jahren verständigt haben. Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach jedenfalls davon. Vereinfacht ausgedrückt lief das darauf hinaus: Die ÖVP sollte uneingeschränkt das fortsetzen können, was ihr zuletzt Wahlerfolge beschert hat; nämlich eine „restriktive“ Flüchtlingspolitik. Die Grünen erhielten auf der anderen Seite eine gewisse Entfaltungsmöglichkeit bei ihrem Thema, dem Klimaschutz.

In wesentlichen Teilen ist dieses Regierungsprogramm überholt. Mehr noch als infolge der Coronakrise: Unter dem Titel „Nachbarschaftshilfe“ bekennt sich die ÖVP von Bundeskanzler Karl Nehammer zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Und die Grünen halten zwar weiter am Klimaschutz fest, er gerät jedoch zunehmend unter Druck und wird durch ganz andere Frage überlagert, auf die man sich gefasst machen sollte. Abgesehen von sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen sind dies mögliche Engpässe in der Energieversorgung, extreme Preissteigerungen, Arbeitslosigkeit und soziale Nöte für mehr und mehr Menschen.

All dies ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen: In der Coronakrise ist es bereits zu gesellschaftlichen Spannungen gekommen. Sie haben sich nicht gelegt. Mit Wiederaufnahme der Impfpflicht und weiteren Infektionswellen, geschweige denn einer Rückkehr zu Beschränkungen, werden sie eher wieder wachsen.

Die erwähnten Herausforderungen machen ein neues Regierungsprogramm notwendig. Natürlich: Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler (Grünen) werden es nicht als solches bezeichnen, es wird aber darauf hinauslaufen müssen. Neben sicherheits- und verteidigungspolitischen sind wirtschafts- und sozialpolitische Ansagen nötig. Und zwar frühzeitig: Bei all den Unsicherheiten braucht es zumindest ein paar Anhaltspunkte; damit Bürger wie Unternehmen wissen, wovon sie ausgehen können. Zu Beginn der Coronarkrise geschah dies durch den Slogan „Koste es, was es wolle“, der zunächst insofern wichtig war, als er beruhigend wirkte.

Für die Koalition ist das eine Zerreißprobe. Schon jetzt liegen Nerven blank. ÖVP-Wirtschaftskämmerer fordern eine Verschiebung der CO2-Bepreisung, was Kogler so heftig beantwortete (sie seien es gewesen, die Wladimir Putin jahrelang einen „roten Teppich mit Schleimspur“ ausgerollt und Österreich bei Gaslieferungen abhängig von Russland gemacht hätten), dass ein Mediator nicht schaden könnte (WKO-Chef Hartald Mahrer fordert eine Entschuldigung).

Dabei ist das doch nur ein Vorspiel: Was ist zum Beispiel, wenn mehr und mehr Haushalte Energiekosten nicht mehr bewältigen können oder der eine oder andere Energieträger rationiert werden muss? Dann geht es um Verteilungsfragen, die sich durch keinen 150-Euro-Gutschein lösen lassen; und bei denen die Zugänge von ÖVP und Grünen unterschiedlicher kaum sein könnten.

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