Wo Nehammer auslässt

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ANALYSE. Der Kanzler hat seinen Urlaub abgesagt, um arbeiten zu können. Was er nach wie vor nicht versucht, ist jedoch, die Menschen in Österreich aufzurichten. Damit droht die Stimmung endgültig zu kippen.

Es wird leider viel zu wenig untersucht, wie es den Leuten geht. So etwas wie das „Austrian Corona Panel Project“ der Uni Wien gibt es nicht. Dabei wären regelmäßige Erhebungen zu Stimmungslagen und wahrgenommen Probleme auch in der gegenwärtigen Krise nötig. Für viele ist es längst eine reale Krise: Preissteigerungen, die alles in allem Richtung zehn Prozent gehen, setzen einer Masse zu. Dazu kommt diese verflixte Kopfsache: Die Aussichten sind dazu angetan, zu resignieren.

Das mit den Preissteigerungen ist in der Politik irgendwann angekommen. Anfang Juli hat die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ihren Bundesparteiobmann, Kanzler Karl Nehammer, ermahnt und Führungsqualitäten eingefordert. Wobei sie die Lücke dazu nützte, im Hinblick auf die kommende Landtagswahl selbst auch Ausgleichsmaßnahmen zu präsentieren. Aber das ist eine andere Geschichte. Nehammer reagierte, sagte Urlaub wie Festspielbesuche ab und machte sich an die Arbeit. Ergebnisse lassen auf sich warten. Sie sollen im Herbst fixiert werden, auf einer Regierungsklausur wurde in Aussicht gestellt, dass die Haushalte künftig einen Teil des Energieverbrauchs vergünstigt verrechnet bekommen.

Ob derlei reichen wird, ist fraglich: Es wird immer wieder Preise geben, die weiter sichtbar stark steigen werden – im Supermarkt, an der Tankstelle oder im Gasthaus. Das macht es schwer bis unmöglich, zufriedenstellende Ausgleichsmaßnahmen zu fixieren und, wenn schon keinen Dank, dann wenigstens Anerkennung dafür zu erhalten.

Zumindest ebenso wichtig erscheint die Bewältigung der anderen Herausforderung: Die Stimmung darf nicht vollends kippen, es darf sich kein Gefühl der vollkommenen Aussichtslosigkeit verfestigen. Das würde zu einer größeren Krise führen – wirtschaftlich, sozial und auch politisch.

Einzelne Parteien machen immer wieder hemmungslos Stimmung, um bei Wahlen zuzulegen. Die FPÖ hat es schon oft geschafft, die relativ meisten Menschen zu überzeugen, die von Abstiegsängsten geplagt werden und meinen, dass alles schlechter wird. Zumindest in der nunmehrigen Vorrunde zur Bundespräsidenten-Wahl hat sie im neuerlichen Bemühen darum mehrere Mitbewerber. Politische Angebote für Unzufriedene wie Pessimisten werden zahlreicher, offenbar herrscht die Meinung vor, dass mehr und mehr zu holen ist.

Das könnte auch eine Warnung für den Regierungschef sein: Seine ÖVP steht in der Verantwortung, hat durch Sebastian Kurz ohnehin schon Hoffnungen enttäuscht, sie droht hier endgültig zu verlieren. Wenn viele Menschen befürchten, dass alles den Bach runtergeht, ist für die Volkspartei, die in der Verantwortung steht, bei Wahlen nicht viel zu holen.

Gefragt wäre hier ein Motivator, der die Leute aufrichtet. Es müssen nicht die Worte „Wir schaffen es“ fallen, sie müssen aber sinngemäß rüberkommen. Oder auch etwas von einem nationalen Schulterschluss und einem Gemeinsam-stärker-sein. Das wäre bei weitem nicht nur im Sinne der ÖVP, sondern könnte eben auch der Verhinderung einer größeren Krise dienen.

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