ANALYSE. Gaslieferungen: Ein forscher Kanzler und eine Ministerin, die meint, in fünf bis zehn Jahren (wenn Putin auf die 80 zugeht) werde man die Abhängigkeit von Russland sichtbar reduziert haben – das ist erstens traurig und zweitens viel zu wenig.
Forsch kann er ja sein, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS, wonach Österreich bereit sei, Gas in Rubel zu bezahlen, begegnete er auf Twitter folgendermaßen: „Bevor hier Fake News der russischen Propaganda weiter verbreitet werden. Die OMV bezahlt Gaslieferungen aus Russland selbstverständlich weiterhin in Euro.“
Dumm nur, dass das allenfalls nur Beifall auf innenpolitischer Ebene bringt – und auch das nur für einen Moment. Wladimir Putin hat angefangen, den Gasfluss zu reduzieren. Polen und Bulgarien bekommen nichts mehr. Wer folgt morgen? Diesbezüglich im Ungewissen zu lassen, gehört zur Strategie des russischen Präsidenten. Verängstige und verunsicherte Gegner stärken seine Position gewaltig. Klar ist: Österreich zählt zu den Ländern, die ein Gaslieferstopp am härtesten treffen würde. Es hat mit am meisten Grund, zu zittern. Putin führe „Krieg auch mit Energielieferungen“, weiß Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) auf Ö1.
In der Vergangenheit hat man hierzulande versagt, heute schläft man. Beides zusammen bringt zum Ausdruck, dass dem Ernst der Lage nicht annähernd Rechnung getragen wird. Es ist nicht egal, wer Österreich warum oder wofür eine 80-prozentige Gasabhängigkeit von Russland beschert hat. Es trägt dazu bei, dass sich Nehammer und Co. gezwungen sehen, den Krieg gegen die Ukraine, Demokratie und den Westen mitzufinanzieren. Das gehört aufgearbeitet. Unter anderem durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zumindest zur Klärung politischer Verantwortlichkeiten.
Das ist das eine. Das andere: Der deutsche Energieminister Robert Habeck (Grüne) lieferte nach den ersten Lieferstopps einen Bericht zum Stand der Dinge. Bei Kohle und Öl ist das große Nachbarland demnach gerüstet, allenfalls innerhalb von Tagen ohne Russland zurecht zu kommen. Bei Gas dauere es etwas länger, aber auch hier sei man mit „Hochdruck“ dran.
Das ist Entschlossenheit, die in Österreich fehlt. „Es wird sicher fünf bis zehn Jahre brauchen, um sichtbar unter die 80 Prozent zu kommen, die wir heute mit russischem Gas decken“, scheute sich Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Wochenende nicht, in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ zu sagen.
Weil auch sichtbar unter 80 Prozent in, sagen wir, zehn Jahren auf eine beträchtliche Abhängigkeit hinausläuft und Putin schon 69 ist, bedeutet das, dass die Alpenrepublik energiemäßig bis zum Ende seiner politischen Zeit auf seine Gnade angewiesen sein könnte; im schlimmsten Fall.
Die Grünen haben Österreich das Problem am wenigsten beschert, Gewessler wirkt hilflos. Durch eine Aufstockung des Budgets für Sonnen- und Windenergie solle die Abhängigkeit von russischem Gas gelöst werden, lässt sie wissen. Das Nachrichtenmagazin „profil“ hat das abgeklopft und ist zum Schluss gekommen, dass es bei weitem nicht ausreicht.
Immerhin hat es Gewessler geschafft, Industrielle zu beruhigen, die sich Sorgen machen müssen. Wie wäre es jedoch, das beim Souverän oder überhaupt allen neun Millionen Menschen in Österreich zu versuchen? An Kampagnenfähigkeit (und Geld) fehlt es nicht, wenn es um andere Dinge geht.
Zur Misere gehört, dass es nicht einmal eine sichtbare Aufarbeitung der Folgen eines russischen Gas-Lieferstopps gibt. Es existieren lediglich Warnungen, die mehr oder weniger konkret sind. Zweitens: Was darüber hinaus fehlt, ist die politische Bereitschaft zu einer „Moonshot“-Strategie, die von schier Unmöglichem ausgeht, aber das Ziel hat, es im Rahmen einer Kraftanstrengung in kürzester Zeit zu erreichen. Bei den Amerikanern war es die Landung auf dem Mond. Bei Österreich müsste es die Unabhängigkeit von russischem Gas sein.
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