ANALYSE. Die Außenministerin ist für eine Verteidigungsunion mit einem gemeinsamen militärischen Kommando. Die FPÖ schäumt, der Kanzler duckt sich weg. Bezeichnend.
„Eine aktive Beteiligung an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und der kommenden Entwicklung der Europäischen Verteidigungsunion (EVU) sind von zentraler Bedeutung für die Sicherheit Österreichs“, heißt es im Regierungsprogramm: „Der Beitrag Österreichs zur vertieften Kooperation im Rahmen der GSVP und der EVU wird evaluiert – die erforderlichen rechtlichen Grundlagen (…) werden anhand der politischen Rahmenbedingungen angepasst.“
Alles klar? Nein. Das Drama ist, dass nicht einmal die bestehenden Grundlagen außer Streit stehen, obwohl sie verfassungsrechtlich geregelt sind: Österreich ist Teil der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; die Neutralität gilt hier nicht. Das bedeutet, dass auch ein militärischer Beistand für ein anderes EU-Land, das angegriffen wird, möglich wäre.
Aber man will es nicht aussprechen. Einzig Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (Neos) bildet diesbezüglich eine Ausnahme: Gerade im Lichte der aktuellen Entwicklungen (Trump-Putin-Treffen, Fortsetzung der russischen Angriffe auf die Ukraine, Rückzug der USA als Sicherheitsgarant für Europa etc.) hat sie beim Forum Alpbach erklärt, dass „intensiv“ an der Verteidigungsunion gearbeitet werden müsse, wobei sie auch für ein gemeinsames militärisches Kommando wäre, was aber nicht Regierungslinie sei.
Mehr hat’s nicht gebraucht. Das sei nichts anderes als der Plan, „unsere Soldaten des Bundesheeres unter fremdes Kommando zu stellen und Österreich und seine Söhne in die Konflikte anderer hineinzuziehen“, schäumte die freiheitliche Sprecherin fürs Äußere, Susanne Fürst. Nachsatz: Kanzler Christian Stocker (ÖVP) solle Meinl-Reisinger sofort zurückpfeifen. Woraufhin die „Presse“ im Kanzleramt anrief, aber erfuhr, dass man deren Aussagen nicht kommentiere. Zumal sie selbst betont habe, dass ein gemeinsames Kommando nicht Regierungslinie sei.
Es ist bezeichnend: Seit Jahrzehnten wird es verabsäumt, einer breiteren Öffentlichkeit klarzumachen, worauf man sich in Bezug auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingelassen hat auf europäischer Ebene und wie man den Widerspruch zur Neutralität geklärt hat (indem man durch Verfassungsartikel 23f – vereinfacht ausgedrückt – festgelegt hat, dass man’s trotzdem darf). Im Glauben, dass es ohnehin nie kritisch werden könnte, hat man sich die unangenehmen Debatten, die damit einhergegangen wären, erspart und geschwiegen.
Das rächt sich heute. Die FPÖ profitiert vom verbreiteten Unwissen und der Kanzler traut sich noch immer nicht, dagegenzuhalten. In Wirklichkeit wäre äußerst konsequent, was Meinl-Reisinger sagte: Die Rede ist von einer Verteidigungsunion. Die Betonung liegt auf Union. Damit gemeint ist keine lose Zusammenarbeit wie in einer Gemeinschaft etwa, sondern eine supranationale. Supranational bedeutet wiederum überstaatlich in dem Sinne, dass teilnehmende Staaten freiwillig einen Teil ihrer Souveränität aufgeben und Hoheitsrechte an die Union übertragen. Was im vorliegenden Fall sogar naheliegenderweise Kommandostrukturen wären.