ANALYSE. Der Bundespräsident macht überfälligen Druck auf die Regierung. Erhöhen kann er diesen jedoch kaum noch in absehbarer Zeit. Das ist ein Problem.
Österreich steht nicht vor großen Herausforderungen, es ist längst mit großen Herausforderungen konfrontiert: Was jetzt in Bezug auf die Energieversorgung unterlassen wird, könnte sich im kommenden Winter doppelt rächen. Was jetzt nicht treffsicher an Ausgleichsmaßnahmen zur Teuerung eingeleitet wird, führt im schlimmsten Fall zu bitterer, sich verfestigender Armut.
Insofern war es fünf nach zwölf, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Eröffnung der Bregenzer Festspiele nützte, um die Regierung zu ermahnen. Immerhin hat er das aber sehr deutlich gemacht: Er sei „klar gegen Neuwahlen“, Karl Nehammer und Co. seien jedoch aufgefordert, das zu tun, wofür sie da sind („Sorry: Arbeiten, arbeiten“); und im Übrigen mögen sie „klar und deutlich kommunizieren“.
Es ist ein bisschen wie bei der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): Sie sagte vor zwei Wochen, es brauche eine „klare Führung in der Regierung“. Sie hat nicht behauptet, dass es keine solche gibt unter Nehammer, alle wissen jedoch, dass genau das gemeint ist. Aus dem Munde von Van der Bellen kommen andere Worte, die einem noch härteren Urteil gleichkommen: Nicht nur, dass die Regierung nicht vermitteln kann, was ist, sie liefert auch zu wenig.
Im Grunde genommen könnten Kanzler, Vize Werner Kogler und die übrigen Kabinettsmitglieder an dieser Stelle ihre Demission anbieten. Sogar ein öffentliches Interesse würde dafür sprechen: Die Sache wäre erledigt, es würde eine Wahl und vielleicht noch vor dem Winter eine neue Regierung geben, die versuchen könnte, es besser zu machen.
Das Schlimme ist jedoch, dass es eher auf ein Schrecken ohne Ende hinausläuft: Nehammer und Kogler werden sich kaum von heute auf morgen zu großen Kommunikatoren entwickeln. Im Übrigen hapert es nicht an Knowhow dazu, was wie gelöst werden könnte (z.B. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr würde sicher immer gerne helfen). Das Problem ist, dass Nehammer machtlos ist. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, Chef der wichtigsten ÖVP-Teilorganisation (Wirtschaftsbund), hat angefangen, die von ihm mitgetragenen Sanktionen infrage zu stellen; Mikl-Leitner hat ihm mitgeteilt, dass ein Energiepreisdeckel sein muss und einen solchen gleich auch für Niederösterreich angekündigt. Man könnte jetzt lange darüber diskutieren, wer in der Volkspartei das Sagen hat, Nehammer ist es nicht.
Das wird nicht besser, im Gegenteil: In Tirol wird Ende September gewählt. Nehammer ist im Wahlkampf davor unerwünscht im Land (nicht bei Roten oder Blauen, sondern bei den eigenen Parteifreunden). Seine Pflicht beschränkt sich darauf, von Wien aus nicht zu stören. Anfang 2023 wird in Kärnten, Salzburg und vor allem Niederösterreich gewählt. Für entscheidende Funktionäre stehen dort also immer Umfragewerte und Wahlergebnisse im Vordergrund.
So kann eine Krise nicht bewältigt werden. Und die weiteren Möglichkeiten des Bundespräsidenten sind begrenzt. Er steht selbst in einem Wahlkampf. Die Schwelle, die Regierung zu entlassen (was auf eine Neuwahl hinauslaufen würde) oder noch deutlicher zu ermahnen, ist daher hoch für ihn bis zum Urnengang am 9. Oktober, wenn nicht gar bis zu seiner Angelobung Anfang 2023. Und zwar nicht nur, weil er dadurch noch vorhandene ÖVP- und Grünen-Anhänger verstören könnte, deren Stimme er braucht für einen deutlichen Erfolg. Es ist vielmehr so, dass ihm derzeit alles, was er tut, grundsätzlich immer auch als wahlkampfmotiviert ausgelegt wird. Genau das aber muss bei so schwerwiegenden Fragestellungen ausgeschlossen sein, da darf es nur um die Sache gehen.
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