ANALYSE. Vor sechs Wochen forderte der Bundespräsident eine Generalsanierung der Demokratie. Jetzt muss er nachlegen. Sonst wird er zum Grüßaugust.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte genug, nachdem die Thomas-Schmid-Aussagen vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bekannt geworden waren: „Das, was in den letzten Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde, ist kein kleiner Wasserfleck“, sagte er am 20. Oktober, also heute vor sechs Wochen, in einer eigenen Rede dazu: „Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz unserer Demokratie geht. Wir brauchen eine Generalsanierung, eine Sanierung der Substanz. Und selbstverständlich ist es meine Pflicht, sicherzustellen, dass das auch passiert.“
Seither ist nicht nichts passiert. Was passiert ist, bringt jedoch zum Ausdruck, dass Van der Bellen Worte ignoriert werden: Bezüglich einer Verschärfung des Korruptionsstrafrechts gab es keine Fortschritte. Bezüglich der Abschaffung des Amtsgeheimnisses gab es keine Fortschritte. Bezüglich Inseratenkorruption ist ein – nach Einschätzung von Experten wie dem Medienwissenschaftler Josef Trappel – untauglicher Begutachtungsentwurf vorgelegt worden; das Übel bleibt demnach möglich.
Gefordert wäre vor allem Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer. Ohne konkret zu werden, hat er sich Anfang November distanziert von gewissen Machenschaften und sich im Übrigen nur sehr allgemein entschuldigt für das Bild, das die Politik im Allgemeinen gerade in Zeiten wie diesen abgibt.
Im Übrigen hat die Volkspartei auf Empfehlung ihres Ethikrates nicht Sebastian Kurz oder sonst jemanden aus der Partei ausgeschlossen, sondern Thomas Schmid: Er, der sich selbst belastet, für den aber wie für all die anderen die Unschuldsvermutung gilt, ist zum Bösen erklärt und abgestraft worden.
Außerdem hat Karl Nehammer den Kurz-Vertrauten und ebenfalls Beschuldigten Gerald Fleischmann zum Kabinettchef der ÖVP erklärt. Das war auch eine Botschaft an Van der Bellen: Ich pfeife nicht nur auf Ihren Appel, Korruption zu bekämpfen, ich werde auch nicht mit Vergangenem brechen sowie kein Bemühen um einen sauberen Neubeginn zum Ausdruck bringen. Derartige Signale, um die es hier gehen würde, wird es von mir nicht geben, Herr Präsident!
Dazu passt die ÖVP-Abwehr im parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen jegliche ernsthafte Befragung von Nehammer und der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die einst als Innenministerin Postenvergaben zu verantworten hatte und später Sebastian Kurz die Leiter zum Aufstieg ins Kanzleramt hielt. Zur Verstärkung dieser Abwehr holte die Partei eigenes ihren Generalsekretär, Christian Stocker, in den Ausschuss; er ist ein Vollprofi auf dieser Position.
Fürs Staatsoberhaupt wird’s jetzt schwierig: Er hat mit seiner Rede zwei Dinge klargestellt: Es braucht eine Generalsanierung; und es ist seine Pflicht, sicherzustellen, dass sie zustande kommt. Bis wann das geschehen muss, hat er offengelassen. Nehammer bedeutet ihm jedoch fast schon täglich, dass er darauf pfeift. Das bringt ihn, Van der Bellen, unter Zugzwang.
Die Möglichkeiten sind begrenzt: Er kann Nehammer nichts anschaffen. Er könnte ihn entlassen. Das ist politisch jedoch heikel. Was Nehammer weiß. Unter anderem über die Öffentlichkeit könnte er den Druck erhöhen. Ob das wirkt, ist fraglich: Viel deutlicher kann Nehammer nicht mehr zum Ausdruck bringen, dass ihm diese ganzen Korruptionsgeschichten vollkommen egal sind.
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