BERICHT. Den Kanzler wird von der Vergangenheit eingeholt. Oder: Eine Rede, die Vize Werner Kogler heute halten könnte.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, die letzten 24 Stunden waren an Dramatik kaum zu überbieten, und ich möchte daher mit Ihnen meine Einschätzung der Situation teilen. Ich bin vor zwei Jahren angetreten, um in diesem Land etwas zu verändern (…) Ein Land, in dem das System oft wichtiger war als die Menschen. Und ein Land, in dem der politische Stil vor allem geprägt war von gegenseitigem Streit. (…). Ich habe damals versprochen: Ich werde mir selbst treu bleiben. Egal, was kommt. Ich werde Wahrheiten aussprechen, auch wenn sie unangenehm sind. Und ich werde tun, was richtig ist. Und das auch, wenn es Gegenwind gibt. Das war immer mein Stil. Und das wird auch so bleiben.
Ich habe immer gewusst, dass der Weg mit der (…) als Regierungspartner Widerstand auslösen wird. Und doch muss man sagen: (…) Wenn ich auf die inhaltliche Arbeit der letzten zwei Jahre zurückblicke, dann bin ich froh, dass wir genau das, was wir im Wahlkampf versprochen haben, auch in der Regierungsarbeit umsetzen konnten. (…)
Für diese Arbeit möchte ich mich auch bei allen Mitgliedern der Bundesregierung bedanken. Und ich sage ganz bewusst, ganz gleich welcher Partei. Für diese inhaltlichen Erfolge war ich bereit, viel auszuhalten, viel in Kauf zu nehmen. (…) Auch wenn ich es nicht immer öffentlich gesagt habe, sie können mir glauben, das war oft persönlich nicht einfach.
Im Sinne der Sacharbeit habe ich nicht bei der ersten Verfehlung die Zusammenarbeit beendet. Aber nach dem gestrigen (… Ereignis) muss ich sagen: Genug ist genug. Auch wenn die Methoden, die an Silberstein erinnern, verachtenswert sind: Der Inhalt ist, wie er ist. (…) Wirklich schwerwiegend sind die Ideen des Machtmissbrauchs und der Umgang mit dem Steuergeld und der Umgang mit der Presse.
Die (…) schadet mit ihrem Verhalten unseren Weg der Veränderung. Es ist ein Schaden für das Ansehen unseres Landes und es entspricht auch nicht meinem politischen Zugang, der Republik und den Menschen unseres Landes zu dienen. Vor allem aber habe ich in den Gesprächen mit der (…) heute nicht das Gefühl gehabt, dass (…) es eine wirkliche Bereitschaft gibt für eine tiefgreifende Veränderung auf allen Ebenen der Partei.
Natürlich könnte man jetzt alles Mögliche versuchen, um die eigene Macht abzusichern. Köpfe tauschen, als wäre nichts gewesen, oder einen fliegenden Wechsel (…). Beides ist nicht das, was unser Land jetzt braucht. Und auch für mich ganz persönlich wäre es falsch. Denn ich bin nicht in die Politik gegangen, um ein Amt innezuhaben, sondern etwas daraus zu machen. Mein Ziel ist es einfach, für dieses Land zu arbeiten. Mit meinem politischen Zugang, mit einem Kurs, den die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Aber eben ohne Einzelfälle, Zwischenfälle und sonstige Skandale. Das ist derzeit mit niemandem umsetzbar. (…)
Darum habe ich dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, vorgezogene Wahlen in Österreich durchzuführen. Nur wenn die (…) nach den Wahlen so stark ist, dass wir eindeutig den Ton angeben, kann unser Kurs der Veränderung konsequent fortgesetzt werden. Wenn Sie mit meinem Kurs zufrieden sind, wenn Sie diese Veränderung fortführen wollen, dann brauchen wir bei der nächsten Wahl klare Verhältnisse. Mit einem klaren Wahlauftrag. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung!“
Diese Rede hielt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos und Rücktritt seines damaligen Vizekanzlers, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Auslassungen sind markiert, enthalten im Wesentlichen Daten und Parteibezeichnungen und sind insofern belanglos: Der Text verdeutlicht, wie sehr sich Kurz selbst im Weg steht. Er wirft anderen Dinge vor, nur um dies zu seinem eigenen Nutzen zu tun. Nicht, weil er sich inhaltlich an irgendetwas stoßen würde. Sonst hätte er beispielsweise den Umgang mit Steuergeld und der Presse längst neu aufgesetzt und die strukturelle Korruption in Form der Inserate eingestellt, soweit sie zumindest seinen Verantwortungsbereich umfassen. Oder er hätte nicht türkise Netzwerke und einen seiner engsten Mitarbeiter bei der Bestellung eines neuen ORF-Generaldirektors eingesetzt, sondern es eben besser gemacht. Auch als seine Vorgänger. Es steht nirgends geschrieben, dass das verboten ist. Er hätte Transparenz bei Parteienfinanzierung und darüber hinaus durchgesetzt. Ja, das wäre ihm möglich gewesen, zumal er dazu lediglich Widerstände aus seiner eigenen Partei überwinden hätte müssen.
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