ANALYSE. ÖVP und Grüne setzen ihre Maßnahmen mehr und mehr in einer Geschwindigkeit um, die nicht nur demokratiepolitisch gefährlich ist.
Sie erinnern sich an Andreas Khol? Der ehemalige ÖVP-Politiker und -Nationalratspräsident war nicht nur stolz darauf, dass die Wahrheit für ihn lediglich eine Tochter der Zeit ist; als Klubobmann in der schwarz-blauen Koalition stand er Anfang der 2000er Jahre auch für „Speed kills“. Einfach ausgedrückt: Wenn man Debatten und vor allem Widerstände vermeiden will, muss man extrem schnell handeln; was in diesem Fall quasi „überfallsartig beschließen“ hieß.
Ausgerechnet unter grüner Beteiligung, aber wohl eher türkiser Führung erfährt diese Vorgangsweise eine Renaissance. Wobei sie nicht nur demokratiepolitisch gefährlich ist. Aber was erwartet man sich bei Parlamentsvertreterinnen und -vertretern wie Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer, die ein Bundesratsveto im Mai schon einmal als „zynischen Sabotageakt“ bezeichnete? Da fällt das Problem möglicherweise nicht einmal allen Akteurinnen und Akteuren auf.
Das Corona-Krisenmanagement muss sich allmählich umstellen. Von schnellen Maßnahmen, die husch-pfusch gesetzt werden müssen, damit schnell wieder Normalität einkehren kann, hin zu entschlossenen Antworten auf eine längerfristige Krise. Da könnte man sich schon einmal eine Woche herausnehmen und gut darüber nachdenken, was man tut; und vor allem auch Auseinandersetzungen darüber zulassen.
Aber nein, es wird weiterhin eine Art Notstandsgesetzgebung gepflegt, die das Parlament und das ganze Drumherum de facto überflüssig machen soll. Plötzlich liegt da (zunächst nur) ein Ausschussbeschluss vor, wonach die Polizei echte Gesundheitsaufgaben übernehmen und Symptome erheben soll. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wird’s freuen. So kann er gerade noch rechtzeitig vor der Gemeinderatswahl im Oktober den Druck auf Wien erhöhen, seine Sicherheitskräfte einschreiten zu lassen.
Das ist eine bemerkenswerte Grenzüberschreitung. Die Militarisierung des Gesundheitswesens könnte ja vielleicht unausweichlich werden, wenn alle Stricke reißen und es tausende Infektionen gibt. Aber hat der Kanzler nicht gerade gesagt, dass das Schlimmste vorbei ist? Hat nicht auch der Gesundheitsminister eine zweite Welle ausgeschlossen? Soll nicht über den Sommer konzentriert eine neues Epidemiegesetz entworfen werden? Die nunmehrige Eile ist in vielerlei Hinsicht verdächtig.
Zeit lässt man sich und allen anderen in dieser Koalition aber ohnehin nicht mehr: Pensionserhöhungen und sonstige Verbesserungen für Bauern werden von Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne), der auch Gesundheitsminister ist, gerade einmal vier Tage lang als Begutachtungsentwurf aufgelegt, ehe der Sack zugemacht wird. Obwohl das Ganze exakt null mit der Coronakrise zu tun hat.
Oder die Steuersenkungen: Sogar türkise Bundesländer beklagen sich, dass ihnen im Begutachtungsverfahren zu wenig Zeit gelassen werde, die Maßnahmen zu prüfen. Was sich immerhin rächen könnte: Die Länder behalten sich ein Veto vor, weil sie auch niedrigere Steuereinnahmen befürchten müssen. Viel schlimmer ist aber, dass hier weitere Maßnahmen in aller Eile fixiert werden, die eigentlich aus einer Zeit stammen, in der man noch davon ausgegangen ist, dass wir es mit einer „V“-Krise zu tun haben – bei der man nur rasch viel Geld aufstellen muss, damit hinterher alles wie gehabt weitergehen kann. Was jedoch ein Irrtum ist. Sprich: „Speed kills“ könnte sich am Ende selbst zum Verhängnis werden.
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