ANALYSE. Gerade in der Pandemie wird ein Politikverständnis zum Verhängnis, das von gehorsamen, nicht eigenständigen Bürgerinnen und Bürgern ausgeht.
Jetzt sind wieder Bürger schuld: Eine Vertreterin des Landes Oberösterreich meinte in der ZIB2 vom 2. November, man könne viel unternehmen, die Impfung müssten sich die Leute aber schon selbst abholen. Sie tun es in kleiner Zahl, Oberösterreich hat mit knapp 60 Prozent die niedrigste Durchimpfungsrate im Bundesländervergleich.
Dieser Leiterin des Krisenstabes muss zugutegehalten werden, dass sie sich im Unterschied zu Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) den Fragen von Armin Wolf stellte. Und dass es hinterher ein paar Eingeständnisse gab: Sie, Carmen Breitwieser, bezweifelte die Genauigkeit von PCR-Tests. Mittlerweile setzt das Land verstärkt auf PCR-Tests. Außerdem bezweifelte sie den Erfolg der burgenländischen Impflotterie. Mittlerweile hat auch Oberösterreich eine solche Lotterie angekündigt. Vielleicht wird die Durchimpfungsrate so ein bisschen stärker steigen. Wer weiß.
Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sind derweil auf Bundesebene federführend mit einer gescheiterten Coronapolitik konfrontiert. Schallenberg kann wenig dafür, er ist gerade erst unfreiwillig in diese Rolle gerutscht. Mückstein wirkt nach einem halben Jahr noch immer eher als bemühter Mitarbeiter denn als Mitgestalter dieser Politik.
Diese Politik folgt dem Muster, das der amerikanische Sprachforscher George Lakoff mit dem Zugang eines „strengen Vaters“ zusammengefasst hat: Ein solcher setzt bei seinen Leuten Gehorsam voraus, begreift sie erst gar nicht als eigenständige Wesen. ÖVP-Klubobmann August Wöginger hat in diesem Sinne einmal gesagt, dass seine Kinder, solange sie in seinem Haus schlafen und essen, die Volkspartei zu wählen hätten.
Österreichische Coronapolitik ist in diesem Sinne dadurch gekennzeichnet, dass sie sich erstens vorzugsweise allein um Fragen kümmert, bei denen andere kompetenter und daher auch überzeugender wären (Infektionsschutz, Impfen etc.); und dass sie zweitens auf genaueres Erklären verzichtet. Das würde dem Gegenmodell laut Lakoff entsprechen, nämlich dem der fürsorglichen Eltern, die bemüht sind, auf ihren Nachwuchs zu hören und mit ihm zu reden bzw. auf dessen Erkenntnis zu setzen.
Gerade mit Fortdauer der Pandemie ist der Zugang des strengen Vaters zum Scheitern verurteilt. Wir leben im 21. Jahrhundert. Bürgerinnen und Bürger wollen (selbstverständlich) respektiert werden. Das ist das eine. Das andere: Mit der Zeit kann der strenge Vater nicht mehr ernst genommen werden. Schon vor dem Sommer 2020 hatte der damalige Kanzler Sebastian Kurz die gesundheitlichen Folgen für beendet erklärt. Im Herbst desselben Jahres hatte der seinerzeitige Gesundheitsminister Rudolf Anschober wenige Tage vor einem solchen einen weiteren Lockdown ausgeschlossen (diese Fehleinschätzung später aber immerhin bedauert). Heuer hat Kurz noch erklärt, dass die Pandmeie für Geimpfte vorbei sei und sich jeder Ungeimpfte anstecken werde.
Problem: Anstecken können sich auch Geimpfte – und sie tun das laut AGES zwar weiterhin mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit, aber halt doch in wachsender Zahl. Konkret: Bei ab 60-Jähriger ist die Inzidenz symptomatischer Infektionen bei der noch dazu ungleich größeren Gruppe der Geimpften zwar zweieinhalb Mal kleiner als bei Ungeimpften, aber schon Ende Oktober auf mehr als 100 geklettert. Sprich: Es ist zu offensichtlich, dass die politische Darstellung durch die Wirklichkeit konterkariert wird. Politik hat hier jegliche Glaubwürdigkeit und damit auch Wirkungskraft verspielt.
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