ANALYSE. Bundeskanzler Kurz vermittelt den Eindruck, er habe 900.000 Impf-Dosen gesichert. Das ist mehr als Message-Control, heißt es. Zurecht: Hier behauptet einer, der Retter zu sein.
Auf dieSubstanz.at geht es fast täglich um Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Das aber liegt in der Natur der Sache: Er ist Regierungschef und mächtigster Politiker des Landes. Und er vermittelt regelmäßig Botschaften, die auf ihren Gehalt hin abgeklopft werden wollen. Außerdem provoziert er das auch noch, indem er ausdrücklich betont, keine Kritik zu wollen.
dieSubstanz.at könnte sich auch täglich mit der Sozialdemokratie auseinandersetzen. So wie das der Fall war, als sie am Ruder war. Zumal sie sich aber in Opposition befindet und nur selten eine wahrnehmbare Rolle spielt, drängt sich das nicht so auf.
Also zurück zu Sebastian Kurz. Mittwochabend titelte „krone.at“ folgendermaßen: „Kurz: 900.000 Dosen Corona-Impfstoff bis März“. Einer seiner Sprecher verbreitete dies auf Twitter mit einer Anmerkung: „Bundeskanzler @sebastiankurz nach Call mit Pfizer: 900.000 Dosen Corona-Impfstoff bis März.“ Womit der Eindruck, der ganz offensichtlich vermittelt werden sollte, verstärkt wurde: Kurz griff entschlossen-beherzigt zum Telefon, kontaktierte den Pharmakonzern und erreichte, dass Österreich eine Sonderlieferung erhält.
Das ist natürlich naiv und vollkommen falsch: Der Konzern hat keine Impfdosen übrig, und zumal die ganze Welt welche haben möchte, wird er auch keine erübrigen, wenn der Kanzler eines kleinen Landes anruft. Zweitens: Auf der Website des Bundeskanzleramts lässt Kurz selbst wissen, wie‘s wirklich läuft. Koordiniert über die EU nämlich. Zutreffend hält er dazu fest, dass das eine ihrer „großen Erfolgsgeschichten“ ist.
Soll heißen: Ein sogenannter Call des österreichischen Kanzlers bei Pfizer kann eher nur der allgemeinen Nachfrage dienen, ob eh alles läuft wie mit der EU vereinbart; oder ob Österreich dabei auch nicht vergessen worden ist; oder einfach nur zur Erkundigung, was die EU in Bezug auf Österreich eigentlich fixiert hat.
Dafür aber könnte Sebastian Kurz bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) anrufen, also ein Ortsgespräch führen, wie man vor ein paar Jahren gesagt hätte: In dessen Ressort ist man informiert. Davon zeugen Aussagen von Journalistinnen und Journalisten, die den Kanzlersprecher auf dessen Tweet hin aufklärten, dass „diese Zahlen“ bzw. „exakt die Zahlen“, die irreführenderweise Kurz und seinen angeblichen Bemühungen zugeschrieben werden sollen, schon am Montag auf einer Art Pressekonferenz im Gesundheitsministerium genannt worden seien.
Diese Geschichte muss so lang und breit ausgeführt werden. Sie lässt tief blicken: Zunehmend verzweifelt versucht der Kanzler, sich als Retter zu inszenieren. „Seine“ Stopp-Corona-App ist nicht nur gescheitert, weil sie von so wenigen Menschen angewendet wird, sondern auch, weil er irgendwann aufhörte, sie zu forcieren. „Seine“ Massentests sind nicht nur gescheitert, weil so viele Leute verantwortungslos wären, sondern auch, weil er sich nicht die Zeit genommen hat, sie in ein Gesamtkonzept einzubetten, das ihnen eine größere Sinnhaftigkeit verliehen hätte. Ja, Österreich liegt im internationalen Vergleich in der zweiten Welle nicht nur so schlecht, weil die Bürgerinnen und Bürger so undiszipliniert wären, sondern auch, weil er zunächst selbstgefällig agierte („Wir sind die besten“) und dann zusammen mit Anschober zu einem Hü-hott-Stil überging (gestern Verschärfungen, heute Lockerungen, morgen wieder Verschärfungen und so weiter und so fort).
Jetzt hat das Land mehr Todesfälle als die meisten anderen Staaten Europas und ein Gesundheitspersonal, das am Ende seiner Kräfte steht. Das ist ein katastrophaler Zustand für alle, auch für den Regierungschef. Doch was tut er? Er verstärkt die Ablenkung, auf das „Licht am Ende des Tunnels“ folgt nun die Botschaft, dass er persönlich den ersehnten Impfstoff auftreibt. ORF-Innenpolitik-Redakteur Stefan Kappacher schreibt dazu auf Twitter: „Sagen was ist. Nicht mehr #MessageControl“ sondern längst Propaganda.“ Punkt.
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