ANALYSE. So entschlossen, aber auch wirkungsvoll die Regierung ab Mitte März gegen das Coronavirus aufgetreten ist, so groß sind die Verantwortungslosigkeiten davor, daneben und danach.
Der 5. März war ein ereignisreicher Tag: Island qualifizierte Ischgl aufgrund von Coronavirus-Fällen als Risikogebiet. Das Land Tirol erhielt eine Liste mit Hotels, in dem sich infizierte Gäste aufgehalten haben, tat zunächst aber nichts. Und die „Wiener Zeitung“ berichtete wiederum, dass Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) wegen des Heeresbudgets unter Druck stehe: Gemessen an der Wirtschaftsleistung werde es bis 2023 weder steigen noch stagnieren, sondern sinken.
Wäre das hier ein Spiel mit der Frage, welche Meldung nicht dazu passe, müsste man auf die mit dem Heeresbudget tippen. Daher muss man dem gleich zu Beginn dieses Textes entgegengetreten: Auch das ist Zeugnis politischer Verantwortungslosigkeit im Umgang mit einer Pandemie.
Sie erinnern sich vielleicht noch an Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger. Der gebürtige Oberösterreicher hat die Lage des Heeres im vergangenen Jahr schonungslos geschildert. 2020 sei es pleite. Und das könnte gerade auch im Falle einer Pandemie extrem verhängnisvoll sein, wie Starlinger in einer eigens zusammengestellten Broschüre ausführte. Für diverse Assistenzleistungen wäre ein starkes Heer dann nämlich mehr denn je nötig: „Im Extremfall dürften die Menschen ihre Häuser nicht verlassen, es käme zu massiven Versorgungsengpässen, die Krankenhäuser, Sanitätszentren und mobilen medizinischen Dienste wären überfordert.“
Das ist bemerkenswert: In Regierungskreisen waren Szenarien, mit denen mittlerweile 8,9 Millionen Österreicherinnen und Österreicher im Zusammenhang mit COVID-19 Bekanntschaft gemacht haben, also nicht nur geläufig. Man hatte sie ganz offensichtlich auch schon durchgespielt. Bloß Konsequenzen gezogen hat man keine. Sonst hätte der Gesundheitsminister genügend Masken und andere Schutzgegenstände parat gehabt. Sonst hätte sich nicht herausgestellt, dass das Pandemiegesetz längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist und daher über Nacht geändert werden muss.
Ja, sonst hätte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner – wie schon rote, blaue und übrige schwarze-türkise Amtsvorgänger – nicht an einem Sparkurs beim Heer festgehalten. Wobei das Tanner insofern noch härter trifft, als sie das selbst noch zu einem Zeitpunkt getan hat, zu dem nicht nur aus China, sondern auch aus dem benachbarten Italien auf sämtlichen Kanälen gemeldet wurde, was eine Pandemie bedeuten kann.
Doch kommen wir zu den Geschichten aus Tirol: In der Landeshauptstadt haben sich die Parteien auf eine Untersuchungskommission verständigt. Das klingt gut, ist aber zahnlos. Wenn schon, wäre ein parlamentarischer Ausschuss nötig, dem gegenüber Dinge wie Auskunfts- und Wahrheitspflicht bestehen. Im Tiroler Landtag heißt es, dass ein solcher Ausschuss zur Sache gar nicht möglich sei, weil es hier um Fragen der mittelbaren Bundesverwaltung gehe.
Das ist ein spannender Punkt, der typisch österreichisch ist: Der Landeshauptmann und seine Leute tun zwar immer selbstbewusst und eigenständig, stehen zum Teil aber nur im Dienste des Bundes. Wenn man in Tirol nun also feststellt, dass Günther Platter und Co. das auch bei der zunächst verabsäumten COVID-19-Bekämpfung waren, dann stellt sich naturgemäß die Frage, was denn der übergeordnete Bund so gemacht hat: geschlafen, gezögert, weggeschaut? Doch machen wir uns keine Gedanken darüber, es wird nicht aufgeklärt: Der Bund ist türkis-, das Land schwarz-grün. Da wird man einander nicht auf die Zehen steigen.
Und überhaupt, die Gegenwart ist zumindest gleich wichtig. Noch in der Corona-, stecken wir auch schon in einer Wirtschaftskrise. Im jüngsten Österreich-Newsletter wundert sich die „Süddeutsche Zeitung“ nicht nur über die Berichterstattung der ORF-„Zeit im Bild 1“ („Mittlerweile umweht die Durchhalteparolen und die oftmals unkommentierten Regierungsverkündungen ein Hauch von Propaganda“). Sie wundert sich auch darüber: In Ischgl haben sich mehrere Hundert Urlauber aus ganz Europa mit dem Virus angesteckt. In Deutschland sagt man schon Ischgl, um damit zum Ausdruck zu bringen, wo man sicher nicht mehr Urlaub macht.
Natürlich, das kann Österreicher kränken, empören oder was auch immer. Die Sache ist nur, dass es hier um den mit Abstand wichtigsten Markt für den heimischen Tourismus geht. Also wären auch politische Antworten darauf fällig, wenn man zumindest für die kommende Saison irgendetwas retten möchte. Schadensbegrenzende, vertrauensbildende Akzente, sozusagen. Doch Fehlanzeige, man ignoriert das Problem nicht nur, sondern verschärft es auch noch durch provokante Äußerungen: „Bis heute fehlt jegliche klare Stellungnahme der Regierung“, so die SZ: „Kanzler Sebastian Kurz verbreitete im deutschen Fernsehen stattdessen die Hypothese, dass eigentlich München die Virus-Brutstätte in Europa gewesen sei.“
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