ANALYSE. Der Kanzler blinkt nach rechts und setzt Signale, die eindeutig auf eine baldige Neuwahl ausgerichtet sind. Allein: Er agiert noch dazu inkonsequent. Das macht Kickl nur noch stärker.
Man kann nur erahnen, was Karl Nehammer will. Ergebnis: Gerne würde er ungehindert (potenzielle) FPÖ-WählerInnen umwerben und daher auch die Zusammenarbeit mit den Grünen beenden; sie ist dabei ausschließlich störend für ihn. Logischerweise würde damit eine baldige Neuwahl einhergehen.
Die Signale, die der Bundeskanzler und ÖVP-Chef setzt, lassen diese Deutung zu. Dass er in der jüngsten ORF-Pressestunde Neuwahl-Gerüchten entgegentrat, ändert nichts daran.
Zunächst spricht für Nehammer sehr viel gegen einen Urnengang erst im Herbst 2024: Er würde – mit allem, was damit einhergeht, also den Kampagnen davor, dem Wundenlecken und der Regierungsbildung danach – die Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark überlagern, bei denen es für seine Volkspartei um den Landeshauptmann geht. Schlimmer: Ein solcher Urnengang würde nach einer Europawahl vor dem Sommer stattfinden, bei der die ÖVP aus heutiger Sicht abstürzen und die FPÖ groß aufsteigen dürfte. Da könnte sich Nehammer dann nicht einmal mehr ernsthaft als Kanzlerkandidat inszenieren. Abgesehen davon wird die Mitbewerberin SPÖ dann vielleicht wieder etwas besser dastehen als sie es heute tut; schlechter geht ja kaum, wie man glauben würde.
Inhaltlich befindet sich Nehammer bereits im Wahlkampf: Seine Rede zur Zukunft der Nation war das Gegenteil einer Rede zur Zukunft der Nation. Es handelte sich um die Präsentation des türkisen Wahlprogramms: Große Herausforderungen, von Sicherheits- und Verteidigungspolitik über Korruptionsbekämpfung bis Fachkräftemangel, werden ignoriert. Stattdessen gibt es populistische Ansagen zu Migration, Europa und vor allem Klimawandel. De facto ist das die geistige Aufkündigung der Koalition mit den Grünen und ein ausschließliches Umwerben derselben Wählerschaft, bei der Herbert Kickls FPÖ abräumt.
Nehammer traut sich aber nicht, konsequent zu sein. Nach seiner Rede relativierte er das eine oder andere und gab sich nach einem längeren Gespräch mit Vizekanzler Werner Kogler wieder versöhnlich gegenüber den Grünen.
Es wirklich auf eine Neuwahl anlegen, mag er nicht. Obwohl er weiß, dass er das aus den erwähnten Gründen tun sollte. Kein Wunder: Zumindest zehn Prozentpunkte wird seine Partei wohl fix verlieren. 2019 hatte sie 37,5 Prozent erreicht. Im Übrigen ist er Kanzler, so lange nicht gewählt wird. Dann hat sich das erledigt.
Abgesehen davon fehlen Nehammer ein paar Sebastian Kurz-Gene: Absolute Hemmungslosigkeit und die Gabe beispielsweise, so reden – bzw. blenden – zu können, dass er sehr viele Zuhörerinnen auf seiner Seit hat. Das kann man sympathisch finden.
Es ist jedoch fatal: Karl Nehammer blinkt unentschlossen immer wieder nach rechts und steuert den Wagen dann nicht so, dass er damit Wählerinnen und Wähler gewinnen würde. Im Gegenteil, er bereitet Themen und Stimmungen für Kickl auf und treibt diesem nur noch mehr Wählerinnen und Wähler zu. Und er gibt damit auch eine bürgerliche Mitte auf, über die die ÖVP nach Kurz noch verfügt.
Man kann jetzt sagen, dass das unterm Strich nichts ändere. Dass es bei identischen Inhalten auch schon egal sei, ob Nehammer oder Kickl an der Regierungsspitze stehe. Der Punkt ist, dass Kickl mit jedem Tag, an dem Nehammer so weitermacht, noch stärker wird. Und dass das türkis-blaue Arbeitsübereinkommen in Niederösterreich zeigt, worauf das hinauslaufen könnte.